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aktuelles Dokument: MusterloesungFall4
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Fallbeispiel 4: Striptease


AGL: § 311 I BGB („Auftrittsvertrag“)

Anmerkung: In der Rechtswirklichkeit gibt es durchaus Verträge, die nicht ausdrücklich im BGB geregelt sind. Dazu gehört auch der hier zur Frage stehende Vertrag über den Strip-Auftritt der S. Verträge mit „Künstlern“ können je nach Gestaltung der Vereinbarung als Dienstverträge (§ 611 BGB), als Werkverträge (§ 631 BGB) oder als gemischte Verträge (i.S.d. § 311 BGB) behandelt werden. Da im Sachverhalt nichts näheres dazu beschrieben ist, umgehen wir die Abgrenzungsproblematik und wählen § 311 I BGB als Anspruchsgrundlage, denn dieser normiert die im BGB geltende Vertragsfreiheit und passt daher auf sämtliche Arten von gemischten Verträgen. Diese Vorgehensweise ist deshalb zulässig, da die Parteien im Sachverhalt nicht über die Art des Vertrages streiten, sondern vielmehr die Frage, ob eine wirksame Einigung entstanden ist, im Mittelpunkt steht.


R könnte gegen S einen Anspruch auf die Strip-Aufführung aus einem entsprechend geschlossenen Vertrag im Sinne des § 311 Abs. 1 BGB haben. Dazu müsste der Vertrag über die Strip-Aufführung zum Preis von 300€ zwischen R und S wirksam zustande gekommen sein. Ein Vertrag kommt immer dann zustande, wenn zwei korrespondierende WE, das Angebot und die Annahme wirksam vorgenommen werden.

I) Angebot

Es könnte ein wirksames Angebot i.S.d. §§ 145ff. BGB vorliegen. Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige WE, was von seinem Gegenstand und Inhalt so ausgestaltet sein muss, dass bei der Annahme der andere Vertragsteil diesem lediglich durch ein schlichtes „Ja“ zustimmen kann.

1) Zunächst könnte also ein Angebot in der ersten E-Mail des R an die S liegen. Dazu müsste R seine E-Mail so ausgestaltet haben, dass Vertragsgegenstand und –inhalt ersichtlich sind. Im Sachverhalt sind keine Angaben gemacht, dass R in dieser E-Mail bereits konkrete Vertragsinhalte angibt. Die E-Mail dient der reinen Kontaktaufnahme. Somit ist in der ersten E-Mail des R an die S kein Angebot i.S.d. §§ 145 ff. zu sehen.

2) Weiterhin könnte in dem Telefonat am 05.05. zwischen R und S ein wirksames Angebot zu sehen sein. Wie bereits oben erwähnt müsste die Erklärung inhaltlich so ausgestaltet sein, dass man sie durch ein schlichtes „Ja“ annehmen kann. S hat gegenüber R erklärt, dass sie bereit sei, am 25.05. zum Preis von 300€ aufzutreten. In dieser Erklärung sind der Gegenstand des Vertrages, das genaue Datum und auch die Vergütung enthalten und R hätte diese durch ein schlichtes „Ja“ annehmen können. Somit handelt es sich um einen Antrag i.S.d. §§ 145 ff.

Für die Wirksamkeit des Angebots müsste dieses auch wirksam abgegeben und zugegangen sein.

a) Abgabe

Das Angebot der S könnte wirksam abgegeben worden sein. Bei dem Telefonat zwischen R und S handelt es sich nach § 147 I 2 um eine mündliche Erklärung gegenüber Anwesenden. Für die Abgabe einer derartigen Erklärung genügt bereits die Gewissheit, dass der Empfänger in der Lage ist, zu verstehen, was gesagt wurde. In unserem Fall hat S das Angebot erklärt, indem sie es gegenüber R geäußert hat. Aus dem Kontext des Sachverhalts ist zu entnehmen, dass R das Angebot der S verstanden hat.
Somit wurde das Angebot wirksam abgegeben.

b) Zugang

Das Angebot der S könnte wirksam zugegegangen sein. Der wirksame Zugang einer mündlichen Erklärung gegenüber Anwesenden liegt immer dann vor, wenn der Erklärende annehmen kann, dass der Empfänger die WE verstanden hat. Laut Sachverhalt liegen keine gegenteiligen Anhaltspunkte vor, sodass von einem wirksamen Zugang ausgegangen werden kann.

ZE: Somit liegt ein wirksames Angebot der S vor. Dieses Angebot enthält zudem eine Fristbestimmung durch S gem. § 148 auf den 10.05.

II) Annahme

Aufgrund dessen, dass S ihrem Angebot eine Fristbestimmung beigefügt hat, kann die Annahme gem. § 148 nur innerhalb der gesetzten Frist erklärt werden, sonst erlischt der Antrag.

Es könnte eine wirksame Annahmeerklärung des R gegenüber der S innerhalb der gesetzten Frist vorliegen. Eine Annahme ist eine empfangsbedürftige WE, die inhaltlich mit dem Angebot übereinstimmen muss. Laut Sachverhalt erteilt der R der S in seiner E-Mail am 10.05. seine Zustimmung, womit anzunehmen ist, dass die Anforderungen an das Vorliegen einer Annahme gegeben sind. Somit liegt inhaltlich eine Annahme durch R vor.

Für die Wirksamkeit der Annahme muss diese gem. § 130 I 1 zum einen wirksam abgegeben worden und zum anderen auch wirksam zugegangen sein.

1) Abgabe

Die Annahme des R könnte gem. § 130 I 1 wirksam abgegeben worden sein. Eine empfangsbedürftige WE unter Abwesenden ist immer dann abgegeben, wenn der Erklärende alles Erforderliche getan hat, um die WE in den Rechtsverkehr zu bringen und bei einem ungestörten Fortgang mit dem Zugang gerechnet werden kann. In unserem Sachverhalt hat R durch das Schreiben und Absenden der E-Mail an die S alles in seiner Macht stehende getan, um die WE in den Rechtsverkehr zu bringen. Mehr ist bei einer E-Mail nicht möglich, denn man kann die E-Mail nicht direkt auf den Rechner des Empfängers senden. Man schickt die E-Mail stets an den Provider des Empfängers, der diese zwischenspeichert und bei einer entsprechenden Anfrage an den Kunden weiterleitet. Somit hat R seine WE wirksam gegenüber S abgegeben.

2) Zugang

Für das Wirksamwerden ist gem. § 130 I 1 weiterhin der Zugang der WE erforderlich, da es sich bei der Annahme um eine empfangsbedürftige WE handelt.

Die WE des R könnte gem. § 130 I 1 wirksam zugegangen sein. Voraussetzung dafür ist, dass die WE derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass der Empfänger unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Eine tatsächliche Kenntnisnahme ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich.

a) Machtbereich des Empfängers

Die WE des R müsste also zunächst innerhalb der gesetzten Frist in den Machtbereich der S gelangt sein. Unter dem Machtbereich des Empfängers versteht man den räumlichen Machtbereich des Empfängers und umfasst sämtliche Vorrichtungen, deren sich der Empfänger zur Entgegennahme von WE bedient. Im vorliegenden Fall verschickt der R am frühen Vormittag des 10.05. eine Mail an die S. Fraglich ist, ob die Mail des R innerhalb der gesetzten Frist in den Machtbereich der S gelangt ist, da am 10.05. die Mail lediglich auf dem Rechner des Providers der S gelangt ist, nicht aber auf den Rechner der S selbst. Ob eine Mail unter diesen Umständen schon in den Machtbereich i.S.d. § 130 I 1 eigetroffen ist, ist strittig.

aa) Mindermeinung

Nach einer Meinung soll eine E-Mail nicht schon mit Aufnahme in den Briefkasten/ Rechner des Providers in den Machtbereich des Empfängers gelangt sein, sondern erst, wenn der Empfänger die E-Mail entweder aufruft und somit auf seinen eigenen Rechner speichert oder die Mail bei einem Dritten – also von dem Rechner des Dritte aus- abgerufen hat. Die Begründung ist darin zu sehen, dass das schlichte Wissen vom Eingang einer Nachricht nicht den Zugang des Inhalts dieser Nachricht ersetzten könne. Somit ist die Mail mit dem Eingang auf dem Rechner des Providers noch nicht in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Dafür wäre ein Abrufen erforderlich.

bb) Herrschende Meinung

Dieser Argumentationsweise kann jedoch nach herrschender Ansicht nicht gefolgt werden. Diese Ansicht übersieht die zugrundeliegende Parallele des Mail-Postfaches zum häuslichen Briefkasten. Bei einem Postbriefkasten ist es unstreitig, dass mit dem Einwerfen eines Briefes der Zugang zu dem Zeitpunkt bewirkt ist, zu dem üblicherweise mit der Leerung durch den Empfänger gerechnet werden kann. Wann der Empfänger den Brief dann tatsächlich aus dem Kasten holt, ist für den Zugang nicht erheblich. Der Internetanschluss bzw. das E-Mail-Postfach stellt eine Art „elektronischen Briefkasten“ dar, auf den der Empfänger zugreifen kann. Eine E-Mail soll ja gerade den Brief ersetzten. Aufgrund dessen gelangt die WE schon mit dem Eingang in dieses Postfach in den Machtbereich des Empfängers. Somit genügt für das Gelangen in den Machtbereich des Empfängers, wenn die Mail zur Zwischenspeicherung auf dem Rechner des Providers eintrifft. Ein Abrufen ist nach herrschender Meinung somit nicht erforderlich, wichtig allein ist, dass die Mail eingetroffen ist.

ZE: Mit dem Eintreffen auf dem Rechner des Providers ist die Mail des R in den Machtbereich der S gelangt.

b) Möglichkeit der Kenntnisnahme unter normalen Umständen

Für den Zugang einer WE i.S.d. § 130 I 1 ist neben dem Gelangen in den Machtbereich des Empfängers nun weiterhin erforderlich, dass der Empfänger unter normalen Umständen auch die Möglichkeit hat, von dem Inhalt der WE Kenntnis zu nehmen. Der Ausdruck „unter normalen Umständen“ knüpft dabei an die Zumutbarkeit für den Empfänger an, wodurch eine Erklärung erst dann zugeht, wenn mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme redlicherweise gerechnet werden kann. Laut Sachverhalt schickt R die Mail am frühen Vormittag des 10.05. an die S. Die Mail befand sich somit, wie oben subsumiert, mit der Speicherung auf dem Rechner des Providers im Machtbereich der S. Herkömmlicherweise kann man damit rechnen, dass ein Teilnehmer am Internetverkehr seine Mails einmal täglich abruft. Im Sachverhalt ging die Mail am frühen Vormittag in den Machtbereich der S. Somit ist unter normalen Umständen damit zu rechnen, dass S die Mail noch am selben Tag zur Kenntnis nehmen kann. Die Erklärung des R wäre somit fristgerecht am 10.05. zugegangen i.S.d. § 130 I 1.

ABER:

Allerdings könnte der Zugang aufgrund der Ortsabwesenheit der S durch die Verwicklung in den unverschuldeten Unfall nicht möglich gewesen sein. Es könnte sich also hierbei um ein Zugangshindernis handeln, dessen Vorliegen den Zugang ausschließt.
Laut Sachverhalt ist S unverschuldet in einen Unfall geraten. Sofern es sich um ein Hindernis handelt, das in der Sphäre des Empfängers anzusiedeln ist, kann sich der Empfänger hierauf nicht berufen. Ist der Empfänger also wie im vorliegenden Fall wegen Krankheit nicht anwesend und deshalb nicht in der Lage, von Erklärungen tatsächlich Kenntnis zu nehmen, so steht das einem Zugang i.S.d. § 130 I 1 nicht entgegen. Insofern wird lediglich die tatsächliche Kenntnisnahme verhindert, aber nicht die Möglichkeit der Kenntnisnahme.

Etwas anderes würde gelten, wenn dem Absender die Ortsabwesenheit des Empfängers bekannt gewesen wäre. In diesen Fällen ist gem. § 242 entsprechende Rücksicht zu nehmen.

Der R hat ihm alles Mögliche getan, was ihm möglich und zumutbar wäre. Somit liegt das Zugangshindernis in der Sphäre der S, was nicht zum Nachteil des R gewertet werden kann. Somit ist auch die Möglichkeit der Kenntnisnahme unter normalen Umständen gegeben und die Voraussetzungen für einen wirksamen Zugang der WE des R sind erfüllt.

Folglich ist die Zustimmung des R zu dem Angebot der S am 10.05. wirksam geworden i.S.d. § 130 I 1. Damit sind also sowohl Angebot als auch Annahme wirksam zustande gekommen. Dadurch ist der Vertrag zwischen R und S über den Auftritt am 25.05. zum Preis von 300€ wirksam zustande gekommen.

Ergebnis: R kann von S aus dem Vertrag gem. § 311 I den Stripp-Auftritt zum Preis von 300€ verlangen.


Angelehnt an:
Schwabe, Winfried: Lernen mit Fällen – Allgemeiner Teil des BGB, Materielles Recht und Klausurenlehre, 2. Auflage, Frankfurt a.M., Fall 4, S. 39.

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