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Thüringer Bauordnung [ThürBO]

Kommentar Prof. Dr. Sven Müller-Grune



§ 33
Erster und zweiter Rettungsweg




(1) Für Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum, wie Wohnungen, Praxen, selbstständige Betriebsstätten, müssen in jedem Geschoss mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein; beide Rettungswege dürfen jedoch innerhalb des Geschosses über denselben notwendigen Flur führen.

(2) Für Nutzungseinheiten nach Absatz 1, die nicht zu ebener Erde liegen, muss der erste Rettungsweg über eine notwendige Treppe führen. Der zweite Rettungsweg kann eine weitere notwendige Treppe oder eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit sein. Ein zweiter Rettungsweg ist nicht erforderlich, wenn die Rettung über einen sicher erreichbaren Treppenraum möglich ist, in den Feuer und Rauch nicht eindringen können (Sicherheitstreppenraum).

(3) Gebäude, deren zweiter Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr führt und bei denen die Oberkante der Brüstung von zum Anleitern bestimmten Fenstern oder Stellen mehr als 8 m über der Geländeoberfläche liegt, dürfen nur errichtet werden, wenn die Feuerwehr über Hubrettungsfahrzeuge verfügt. Der zweite Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr ist nur zulässig, wenn keine Bedenken wegen der Personenrettung bestehen.

Quelle










Kommentierung







A. Normgeschichte



1. Historie/Gesetzesbegründung


2014 (G.v.25.03.2014 - GVBL. 2014, 49)

§ 33 enthält die grundsätzlichen Regelungen zu den Rettungswegen und stellt sie unmittelbar den Einzelbestimmungen über die Rettungswege voran.

Absatz 1 enthält das Rettungswegsystem, wonach jede Nutzungseinheit in jedem Geschoss zwei voneinander unabhängige Rettungswege haben muss. Der Begriff Nutzungseinheiten wird durch eine beispielhafte Aufzählung verdeutlicht (Wohnungen, Praxen, selbstständige Betriebsstätten). Um das Erfordernis von Rettungswegen auszulösen, reicht ein Aufenthaltsraum aus. Beide Rettungswege müssen aus dem Geschoss ins Freie führen. Zusätzlich wird jedoch klargestellt, dass beide Rettungswege innerhalb des Geschosses über denselben notwendigen Flur führen dürfen.

Absatz 2 enthält die Regelungen für Nutzungseinheiten, die nicht zu ebener Erde liegen. Satz 1 verlangt die Führung des ersten Rettungswegs über eine notwendige Treppe, an die § 34 Abs. 3 nähere Anforderungen stellt. Satz 2 regelt den zweiten Rettungsweg. Dabei stehen zwei Möglichkeiten nebeneinander: eine weitere notwendige Treppe oder ein Rettungsweg, der mit Hilfe der Feuerwehr hergestellt wird. Klarstellend ist festgelegt, dass die dafür erforderliche mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle eine Stelle in beziehungsweise an der Nutzungseinheit sein muss, auf die sich das Rettungswegsystem bezieht. Unter welchen Bedingungen die zweite Variante angewandt werden kann, ergibt sich aus Absatz 3. Satz 3 ermöglicht den Verzicht auf einen zweiten Rettungsweg, wenn ein Sicherheitstreppenraum hergestellt wird, der auch sicher erreichbar sein muss (siehe auch § 36 Abs. 3 Satz 4).

Absatz 3 enthält Bedingungen für die Zulässigkeit des zweiten Rettungswegs über Rettungsgeräte der Feuerwehr. Voraussetzung ist nach Satz 1 auch, dass die Feuerwehr überhaupt über die erforderlichen Rettungsgeräte verfügt. Bei Gebäuden, bei denen die Oberkante der Brüstung von zum Anleitern bestimmten Fenstern oder Stellen mehr als 8 m über der Geländeoberfläche liegt, muss die Feuerwehr daher über Hubrettungsfahrzeuge verfügen. Weitere Voraussetzung ist die Erreichbarkeit der zum Anleitern bestimmten Stellen nach § 5.

Satz 2 lässt die Rettungswegführung über Rettungsgeräte der Feuerwehr nur zu, wenn wegen der Personenrettung keine Bedenken bestehen. Solche Bedenken bestehen insbesondere bei Sonderbauten, bei denen wegen einer großen Zahl von Personen in einer Nutzungseinheit oder wegen einer erhöhten Hilfsbedürftigkeit der Personen (beispielsweise kranke oder behinderte Personen oder Kleinkinder) eine Rettung über die Feuerwehrleiter so erschwert ist, dass sie nicht oder nicht in vertretbarer Zeit durchgeführt werden kann. Für Gebäude, die keine Sonderbauten sind, werden dagegen nur in besonderen Fällen Bedenken gegen den zweiten Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr bestehen.

Thüringer Landtag Drucksache 5/5768


2. Verwaltungsvorschrift


33.1 Rettungswege sind bis ins Freie nachzuweisen. Bei Regelbauten ist ein Nachweis der Weiterführung der Rettungswege auf dem Grundstück zur öffentlichen Verkehrsfläche in der Regel verzichtbar.

33.2.1 Ein Rettungsweg muss grundsätzlich die Selbst- und Fremdrettung ermöglichen. Als zweite Rettungswege sind daher Notrutschen, einklappbare Leitertreppen oder feste Leitern nicht zu-lässig. Diese Sonderlösungen können nur in Einzelfällen, z. B. bei der Sanierung bestandsgeschützter Gebäude unter Berücksichtigung des darauf angewiesenen Personenkreises, als Abweichung nach § 66 zugelassen werden. Werden z.B. ortsfeste Notleitern an Stellen verwendet, die mit Rettungsgeräten nicht direkt erreichbar sind, ist auf ihre sichere Benutzbarkeit entsprechend den Bestimmungen der DIN 14094 zu achten. Der Einsatz von verkehrssicheren Rettungsrutschen in bestehenden Kindergärten ist nur in solchen Fällen im Rahmen einer Abweichungsentscheidung zulässig, wo die Herstellung eines zweiten baulichen Rettungsweges nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist. Folgende Bedingungen sind einzuhalten:

- Der erste Rettungsweg muss weitgehend den Forderungen der ThürBO entsprechen. Bei Abweichungen ist über Kompensationsmaßnahmen zu entscheiden.
- Die Personenrettung über die Rettungsrutsche darf nur aus dem 1. Obergeschoss erfolgen.
- Die Rettungsrutsche muss im täglichen Gebrauch auch als Spielgerät verwendet werden.
- Die Rettungsrutsche ist in geschlossener Bauweise (Röhrenrutsche) aus nichtbrennbaren Materialien zu errichten.
- Innerhalb der Aufprallfläche ist entsprechend DIN EN 1176-77 ein stoßdämpfender Untergrund vorzusehen.
- Die Rettungsrutsche ist als Rettungsweg nach DIN 4844 zu kennzeichnen und der Ein-stieg ist ständig freizuhalten.
- Die Rettungsrutsche muss von einer zugelassenen Stelle abgenommen werden und ist wie ein Spielgerät zu warten.
- Die Rettungsrutsche ist nach den geltenden Unfallverhütungsvorschriften zu errichten.
- Der Angriffsweg der Feuerwehr muss sichergestellt sein.

33.2.2 Wird an Stelle zweier Rettungswege ein sicher erreichbarer (notwendiger) Treppenraum (Sicherheitstreppenraum) geschaffen, ist dieser entsprechend Nr. 4.2 der Muster-Hochhaus-Richtline – MHHR – auszubilden. Dass Feuer und Rauch nicht in den Sicherheitstreppenraum eindringen können, wird sichergestellt durch die Zugänglichkeit des Treppenraumes
- über einen im freien Windstrom angeordneten offenen Gang oder
- durch eine Sicherheitsschleuse bei Überdruck im Treppenraum.

33.3.1 Führt der zweite Rettungsweg über Feuerwehrrettungsgeräte, so müssen diese technisch geeignet und für die Evakuierung der Personenanzahl ausreichend vorhanden sein. Auf die Ausstattung der örtlichen Feuerwehren ist dabei abzustellen.
Für Sonderbauten mit hoher Personenanzahl können gemäß § 51 unabhängig der Einstufung in die Gebäudeklasse besondere Anforderungen gestellt werden.

33.3.2 Bedenken wegen der Personenrettung können sich insbesondere in Abhängigkeit von der Zahl der regelmäßig gleichzeitig anwesenden Nutzer ergeben. Unter der Voraussetzung, dass Einsatzkräfte in Zugstärke (mind. 16 Mann) am Einsatzort zur Verfügung stehen, ist faustformelartig erst bei einer Zahl von mehr als 40 Personen, die sich gleichzeitig in einer Nutzungseinheit aufhalten, eine nähere Prüfung erforderlich. Zu berücksichtigen sind dabei nicht nur die Zahl der zu rettenden Personen, sondern auch eventuelle Besonderheiten des Nutzerkreises (besondere Hilfsbedürftigkeit) und die Ausstattung der örtlichen Feuerwehr einschließlich der Möglichkeit, bei Bedarf kurzfristig weitere Feuerwehrkräfte einsetzen zu können. Eine entsprechende Forderung kommt bei Wohngebäuden und anderen Standardbauten regelmäßig nicht in Betracht.

VollzBekThürBO


B. Normauslegung


















Zitiervorschlag:
Müller-Grune Sven, Kommentar zur Thüringer Bauordnung, Schmalkalden 2017, § 33.





© Prof. Dr. Sven Müller-Grune





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