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Dies ist eine alte Version von ThuerBO69 erstellt von MarcelOschmann am 2017-08-14 22:10:09.

 

Thüringer Bauordnung
[ThürBO]
Kommentar
Prof. Dr. Sven Müller-Grune




§ 69
Beteiligung der Nachbarn und der Öffentlichkeit



(1) Die Bauaufsichtsbehörde soll die Eigentümer benachbarter Grundstücke (Nachbarn) vor der Erteilung von Abweichungen und Befreiungen benachrichtigen, wenn zu erwarten ist, dass öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden. Einwendungen sind innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Benachrichtigung bei der Bauaufsichtsbehörde schriftlich oder zur Niederschrift vorzubringen.

(2) Die Benachrichtigung entfällt, wenn die zu benachrichtigenden Nachbarn die Lagepläne und Bauzeichnungen unterschrieben oder dem Bauvorhaben auf andere Weise zugestimmt haben.

(3) Haben die Nachbarn dem Bauvorhaben nicht zugestimmt, ist ihnen die Baugenehmigung mit dem Teil der Bauvorlagen, auf den sich die Einwendungen beziehen, zuzustellen. Bei mehr als 20 Nachbarn, denen die Baugenehmigung zuzustellen ist, kann die Zustellung nach Satz 1 durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden; die Bekanntmachung hat den verfügenden Teil der Baugenehmigung, die Rechtsbehelfsbelehrung sowie einen Hinweis darauf zu enthalten, wo die Akten des Baugenehmigungsverfahrens eingesehen werden können. Sie ist im amtlichen Veröffentlichungsblatt der Bauaufsichtsbehörde bekannt zu machen. Die Zustellung gilt mit dem Tag der Bekanntmachung als bewirkt.

(4) Bei baulichen Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs geeignet sind, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, zu benachteiligen oder zu belästigen, kann die Bauaufsichtsbehörde auf Antrag des Bauherrn das Bauvorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und außerdem entweder im Internet oder in örtlichen Tageszeitungen, die im Bereich des Standorts der Anlage verbreitet sind, öffentlich bekannt machen; verfährt die Bauaufsichtsbehörde nach Halbsatz 1, finden die Absätze 1 und 2 keine Anwendung. Nach der Bekanntmachung sind der Antrag und die Bauvorlagen sowie die entscheidungserheblichen Berichte und Empfehlungen, die der Bauaufsichtsbehörde im Zeitpunkt der Bekanntmachung vorliegen, einen Monat zur Einsicht auszulegen. Innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist nach Satz 2 kann die Öffentlichkeit gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich Einwendungen erheben; mit Ablauf dieser Frist sind alle nicht rechtzeitig erhobenen öffentlich-rechtlichen Einwendungen gegen das Bauvorhaben ausgeschlossen. Die Zustellung der Baugenehmigung nach Absatz 3 Satz 1 kann durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden; Absatz 3 Satz 4 sowie Satz 1 Halbsatz 1 gelten entsprechend. In der Bekanntmachung nach Satz 1 Halbsatz 1 ist über Folgendes zu informieren:

1. den Gegenstand des Vorhabens,

2. die für die Genehmigung zuständige Behörde, bei der der Antrag nebst Unterlagen zur Einsicht ausgelegt wird sowie wo, wann und wie Einsicht genommen werden kann,

3. die Möglichkeit für die Personen, deren Belange berührt sind, Einwendungen bei einer in der Bekanntmachung bezeichneten Stelle bis zu zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist vorzubringen; dabei ist darauf hinzuweisen, dass mit Ablauf der Frist alle öffentlich-rechtlichen Einwendungen gegen das Bauvorhaben ausgeschlossen sind,

4. dass die Zustellung der Entscheidung über die Einwendungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden kann.

(5) Bei der Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung

1. eines oder mehrerer Gebäude, wenn dadurch dem Wohnen dienende Nutzungseinheiten mit einer Größe von insgesamt mehr als 5 000 m2 Brutto-Grundfläche geschaffen werden,

2. baulicher Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, wenn dadurch die gleichzeitige Nutzung durch mehr als 100 zusätzliche Besucher ermöglicht wird, und

3. baulicher Anlagen, die nach Durchführung des Bauvorhabens Sonderbauten nach § 2 Abs. 4 Nr. 9 Buchst. c und Nr. 10 bis 13 sowie 15 und 16 sind,

gelten für die Öffentlichkeitsbeteiligung die Sätze 2 bis 8, wenn die Vorhaben innerhalb des nach § 61 Abs. 1 Satz 2 bekannt gemachten Abstands durchgeführt werden sollen, es sei denn, die Immissionsschutzbehörde hat aufgrund ihr vorliegender Kenntnisse mitgeteilt, dass sich das Vorhaben außerhalb des Sicherheitsabstands des Betriebsbereichs im Sinne des § 50 BImSchG befindet. Es ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung nach Absatz 4 durchzuführen, bei der die Bekanntmachung nach Absatz 4 Satz 5 zusätzlich folgende Angaben enthält:

1. gegebenenfalls die Feststellung der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung des Vorhabens nach § 3a des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG), in der Fassung vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2053) in der jeweils geltenden Fassung sowie erforderlichenfalls die Durchführung einer grenzüberschreitenden Beteiligung nach den §§ 8 und 9a UVPG,

2. die Möglichkeit für die Personen, deren Belange berührt sind und für Vereinigungen, welche die Anforderungen des § 3 Abs. 1 oder § 2 Abs. 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes in der Fassung vom 8. April 2013 (BGBl. I S. 753) in der jeweils geltenden Fassung erfüllen (betroffene Öffentlichkeit), Einwendungen bei einer in der Bekanntmachung bezeichneten Stelle bis zu zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist vorzubringen; dabei ist darauf hinzuweisen, dass mit Ablauf der Frist alle öffentlich-rechtlichen Einwendungen gegen das Bauvorhaben ausgeschlossen sind,

3. die Art möglicher Entscheidungen oder, soweit vorhanden, den Entscheidungsentwurf,

4. gegebenenfalls weitere Einzelheiten des Verfahrens zur Unterrichtung der Öffentlichkeit und Anhörung der betroffenen Öffentlichkeit.

Der Genehmigungsbescheid ist öffentlich bekannt zu machen. Die öffentliche Bekanntmachung wird dadurch bewirkt, dass der verfügende Teil des Bescheids und die Rechtsbehelfsbelehrung in entsprechender Anwendung des Absatzes 4 Satz 1 bekannt gemacht werden; auf Auflagen ist hinzuweisen. Eine Ausfertigung des gesamten Genehmigungsbescheids ist vom Tage nach der Bekanntmachung an zwei Wochen zur Einsicht auszulegen; in der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben, die Behandlung der Einwendungen sowie Angaben über das Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit aufzunehmen. In der öffentlichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo und wann der Bescheid und seine Begründung eingesehen und nach Satz 8 angefordert werden können. Mit dem Ende der Auslegungsfrist gilt der Bescheid auch Dritten gegenüber, die keine Einwendungen erhoben haben, als zugestellt; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Nach der öffentlichen Bekanntmachung können der Bescheid und seine Begründung bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist von den Personen, die Einwendungen erhoben haben, schriftlich angefordert werden.

(6) Ein Erbbauberechtigter tritt an die Stelle des Eigentümers. Ist Eigentümer des Nachbargrundstücks eine Eigentümergemeinschaft nach dem Wohnungseigentumsgesetz, so genügt die Beteiligung des Verwalters; seine Unterschrift gilt jedoch nicht als Zustimmung der einzelnen Wohnungseigentümer.











Kommentierung






A. Normgeschichte







1. Historie







2. Gesetzesbegründung


Nach Absatz 1 ist eine generelle Beteiligung aller Angrenzer zu allen Bauvorhaben nicht erforderlich, da der Nachbar im Sinne des § 69 nicht mit dem Nachbarn im allgemeinen Sprachgebrauch identisch sein muss. Insbesondere ist nicht jeder Eigentümer jedes angrenzenden Grundstücks als Nachbar anzusehen. Auf der anderen Seite kann der Kreis der benachbarten Grundstücke weit über die angrenzenden Grundstücke hinausgehen. Eine Nachbarbeteiligung ist nur dann erforderlich, wenn zu erwarten ist, dass öffentlich-rechtlich geschützte Belange eines Nachbarn berührt werden. Eine Verletzung von geschützten Nachbarrechten muss noch nicht feststehen. Nach Satz 1 erfolgt die Nachbarbeteiligung vorbehaltlich der Regelung des Absatzes 2 durch die Bauaufsichtsbehörde. Der Nachbar muss nach Satz 2 eventuelle Einwendungen innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Benachrichtigung vorbringen. Äußert er sich nicht oder erhebt er Einwendungen, denen nicht Rechnung getragen werden soll, führt dies nicht zur (automatischen) Ablehnung des Bauantrags, sondern nur dazu, dass ihm die Baugenehmigung nach Absatz 3 zuzustellen ist.

Nach Absatz 2 ist eine Nachbarbeteiligung dann nicht erforderlich, wenn der Nachbar bereits erkennbar dem Bauvorhaben zugestimmt hat. Das kann insbesondere dann erreicht werden, wenn der Bauherr selbst im Vorfeld der Antragstellung mit dem Nachbarn redet. Dadurch kann er nicht nur gegenüber der zweiwöchigen Äußerungsfrist des Absatzes 2 eine Verfahrensbeschleunigung erreichen, sondern insbesondere im Gespräch Bedenken des Nachbarn ausräumen beziehungsweise diesen durch Umplanung Rechnung tragen und dadurch weitere Verzögerungen vermeiden. Die Zustimmung kann entweder durch Unterschreiben der Lagepläne und Bauzeichnungen oder auf andere Weise erfolgen.

Mit Absatz 3 erhält das Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz ergänzende Regelungen zur Zustellung der Baugenehmigung. Nach Satz 1 sind dem Nachbarn die Baugenehmigung mit dem Teil der Bauvorlagen, auf den sich die Einwendungen beziehen, zuzustellen, wenn er dem Bauvorhaben nicht zugestimmt hat. Diese Regelung trägt der Rechts- und damit auch der Investitionssicherheit des Bauherrn Rechnung, da eine Verletzung nachbarlicher Rechte auch auf andere Weise als durch Abweichungen und Befreiungen, die die Verpflichtung zur Nachbarbeteiligung auslösen, in Betracht kommt. Satz 2 erleichtert die Bekanntgabe der Baugenehmigung in Verfahren, in denen eine Vielzahl von Nachbarn im gleichen Interesse betroffen ist und diese dem Bauvorhaben nicht zugestimmt haben. In diesem Fall kann die Zustellung durch eine öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Die Sätze 3 und 4 regeln, wo die Bekanntmachung erfolgen muss und wann sie als bewirkt gilt.

Absatz 4 trägt dem Umstand Rechnung, dass die Durchführung der Nachbarbeteiligung bei der Errichtung von Anlagen, deren Auswirkungen sich auf einen größeren Umkreis erstrecken, für den Bauherrn und die Bauaufsichtsbehörde mit der Schwierigkeit verbunden ist, dass der Kreis durch das Vorhaben möglicherweise in ihren Rechten berührter Dritter (Nachbarn) im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens nur schwer überschaubar ist. Auch im Hinblick darauf, dass eine Vielzahl solcher Vorhaben zwar nicht der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegt, aber materielles Immissionsschutzrecht mit der Folge berührt, dass möglicherweise der über den Kreis der Grundstückseigentümer und grundstücksgleich an Nachbargrundstücken dinglich Berechtigten hinausgehende immissionsschutzrechtliche Nachbarbegriff zum Tragen kommt, wird mit Absatz 4 eine Regelung geschaffen, die eine rechtssichere Drittbeteiligung auch in diesen Fällen ermöglicht und dem Bauherrn durch die Präklusionsregelung eine gewisse Investitionssicherheit gewährleistet. Hierbei soll dem Bauherrn die Drittbeteiligung durch öffentliche Bekanntmachung nicht aufgezwungen werden, sondern lediglich zu seiner Erleichterung dienen, so dass sie von seinem Antrag abhängt. Um zu vermeiden, dass sich Bauherr und/oder Bauaufsichtsbehörde auch in unproblematischen Fällen von der grundsätzlich wünschenswerten Individualbeteiligung durch die öffentliche Bekanntmachung entlasten können, setzt die öffentliche Bekanntmachung einen Antrag des Bauherrn und eine Zustimmung der Bauaufsichtbehörde voraus, der insoweit ein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Aufwendungen, die durch die öffentliche Bekanntmachung entstehen, sind vom Bauherrn zu erstatten.

Absatz 5 enthält weitere Möglichkeiten der Nachbarbeteiligung. Die Beteiligung des Erbbauberechtigten an Stelle des Eigentümers trägt dem Umstand Rechnung, dass das Erbbaurecht ein grundstücksgleiches Recht ist und für die Dauer des Bestehens des Erbbaurechts der Erbbauberechtigte nicht nur bestimmte Eigentümerbefugnisse hat, sondern auch vorrangig von den Auswirkungen des Bauvorhabens betroffen ist. Die Beteiligung des Verwalters einer Anlage nach dem Wohnungseigentumsgesetz soll der Beschleunigung dienen, da eine Beteiligung aller Einzeleigentümer unnötig zeitaufwendig sein kann. Auch wenn der Verwalter nicht für die Eigentümer einem Bauvorhaben zustimmen kann, wird er in der Regel die Interessenlage der Eigentümer kennen und seine Beteiligung eine Beurteilung der Betroffenheit von Nachbarbelangen erleichtern.


3. Verwaltungsvorschrift







B. Normauslegung

















Zitiervorschlag:
Müller-Grune Sven, Kommentar zur Thüringer Bauordnung, Schmalkalden 2017, § 69.





© Prof. Dr. Sven Müller-Grune





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