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aktuelles Dokument: TiRSteuerverfahrensrecht
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Version [79297]

Dies ist eine alte Version von TiRSteuerverfahrensrecht erstellt von ChristophBieramperl am 2017-05-24 21:21:50.

 

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRSteuerverfahrensrecht/Oben2.png)




Thema: Ablauf der Festsetzungsfrist im Rahmen der Antragsveranlagung

Rechtsnormen: § 25 EStG 2002, § 46 Abs 4 S 1 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 1 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 2 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 3 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 4 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 5 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 6 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 7 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 8 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 56 EStDV 2000, § 47 AO, § 108 Abs 3 AO, § 169 Abs 2 S 1 Nr 2 AO, § 170 Abs 1 AO, § 171 Abs 3 AO, § 130 Abs 1 BGB, § 193 BGB, § 54 Abs 2 FGO, § 222 Abs 2 ZPO, § 31 Abs 3 S 1 VwVfG, EStG VZ 2007

Schlagworte: Amtshaftung, historische Auslegungsmethode, Ausübung öffentliches Amt, Grundsatz des einheitlichen Haftungsregimes



 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRSteuerverfahrensrecht/Urteil.png)


BFH, Beschluss des 6. Senats vom 20.01.2016 – VI R 14/15




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRSteuerverfahrensrecht/VorinstanzlicheUrteile.png)


FG Thüringen vom 17.12.2014 – 4 K 402/12




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRSteuerverfahrensrecht/Sachverhalt.png)


Der Kläger wollte noch im Jahr 2011 seine Einkünfte für das Jahr 2007 erklären. Das Jahr 2011 endete an einem Samstag (31.12.1011). Die Steuererklärung ging jedoch erst am Montag, dem 02. Januar 2012 beim Beklagten ein. Der Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, die vierjährige Festsetzungsfrist sei am 31.12.2011 abgelaufen, weshalb der Kläger nicht mehr zu veranlagen sei. Der Kläger stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass die Frist gem. § 108 Abs. 3 AO erst mit Ablauf des folgenden Werktages und somit erst am 02. Januar abgelaufen sei. Dem trat der Beklagte mit dem Argument entgegen, dass § 108 Abs. 3 AO nicht für die Festsetzungsverjährungsfrist gelte.

Das Thüringer Finanzgericht hielt die Klage für unbegründet. § 108 Abs. 3 AO sei nicht anwendbar, weshalb der Anspruch nach § 47 AO erloschen sei.




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRSteuerverfahrensrecht/Entscheidung.png)


Der Bundesfinanzhof hat auf Revision des Klägers das Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben mit folgenden Leitsätzen:

1. Auf die Festsetzungsfrist gem. § 108 Abs. 3 AO sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Fristbestimmung anzuwenden. Fällt das Ende der Festsetzungsfrist auf einen Samstag, Sonntag oder einen gesetzlichen Feiertag, endet sie erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags. (dazu 1)

2. Bei dem Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG handelt es sich um einen Antrag im Sinne des § 171 Abs. 3 AO, der somit eine Ablaufhemmung herbeiführt. (dazu 2)




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRSteuerverfahrensrecht/Begruendung.png)


1. Fristenberechnung


a) Regelung nach § 108 Abs. 3 AO

Gem. § 108 Abs. 3 AO endet die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags, sobald das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt.


b) Maßgeblichkeit des Fristbegriffs des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Maßgeblich für die Fristenbestimmung sei der Fristbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuchs (wie bereits aus § 108 Abs. 1 AO deutlich wird). Wie bereits nach § 193 BGB, endet auch gem. § 108 Abs. 3 AO die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags, sobald das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt. Der Zweck des § 193 BGB, die Wahrung der Sonn- und Feiertagsruhe und die Berücksichtigung der in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung üblichen Fünftagewoche sei auf alle Arten von Fristen auszuweiten (Rn. 11). Unter Verweis auf seine frühere Rechtsprechung soll § 108 Abs. 3 AO diesen Zweck auf „Handlungsfristen“ ebenso wie auf „uneigentliche“ Fristen und somit auf alle Arten von Fristen erstrecken.


c) Festsetzungsfrist als Frist im Sinne des § 108 Abs. 3 AO

Damit war zu klären, ob die Festsetzungsfrist dem Fristbegriff des § 108 Abs. 3 AO zuzurechnen ist. Eine Frist kann definiert werden als abgegrenzter, bestimmter oder jedenfalls bestimmbarer Zeitraum (Rn. 12). Die Festsetzungsfrist beträgt gem. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre. Es handelt sich bei der Festsetzungsfrist demnach um einen abgegrenzten, bestimmten Zeitraum. Verjährungsfristen sind als gesetzliche Fristen in Abgrenzung zu Handlungsfristen zu den sogenannten „uneigentlichen“ Fristen zu zählen (Rn. 12). Die Festsetzungsfrist ist als eine solche Verjährungsfrist vom Fristbegriff des § 108 Abs. 3 AO erfasst.


d) Keine Verjährung der Steueransprüche

Gem. § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verjährung (insb. §§ 169 bis 171 AO). Wie bereits erwähnt, tritt im konkreten Fall die Verjährung der Festsetzungsfrist jedoch nicht mit Ablauf des 31.12.2011, sondern mit Ablauf des 02.01.2012 ein. Da die Einkommensteuererklärung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG am 02.01.2012 unstreitig beim Finanzamt des Beklagten eingegangen ist, steht dem § 47 AO nicht entgegen.



2. Antragsstellung im Sinne des § 171 Abs. 3 AO

Eine weiter erforderliche Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 3 AO tritt aber nur dann ein, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag auf Steuerfestsetzung gestellt wurde. Hier waren demnach noch zwei Fragen zu klären:

- Handelt es sich bei dem Antrag auf Veranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG um einen Antrag im Sinne des § 171 Abs. 3 AO? (dazu a)

- Ist der Zugang des Antrags erfolgt? (dazu b)


a) Antrag im Sinne des § 171 Abs. 3 AO

Der BFH versteht als Antrag im Sinne des § 171 Abs. 3 AO „Willensbekundungen [...], die ein Tätigwerden der Finanzbehörden außerhalb des in Folge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen“ (Rn. 15). Nach h.M. und st.Rspr. erfülle die Abgabe einer vorgeschriebenen Steuererklärung nicht diese Voraussetzungen, da dies zu den allgemeinen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen gehört und ein ohnehin gebotenes Verwaltungshandeln auslöst. Hier liegt jedoch eine Einkommensteuererklärung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 EStG vor, also ein Antrag auf Veranlagung. In diesem Fall hingegen seien die Voraussetzungen eines Antrags im Sinne des § 171 Abs. 3 AO erfüllt, da eine derartige Veranlagung nicht von Amts wegen vorgenommen werde und der Antrag folglich eine nicht ohnehin gebotene Verwaltungshandlung auslöst. Demnach handelt es sich bei dem Antrag auf Veranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG um einen Antrag im Sinne des § 171 Abs. 3 AO.


b) Zugang des Antrags
Auch im Rahmen des Zugangs sind die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs maßgebend. Grundsätzlich handelt es sich bei dem Antrag auf Veranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG um eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Diese wird gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB gegenüber einem Abwesenden in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Dies ist im Falle einer Behörde dann der Fall, wenn die zuständige Behörde zu den behördenüblichen Zeiten die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstückes erhalten konnte. Es spielt also keine Rolle, ob die Behörde tatsächlich Kenntnis vom Inhalt des Schriftstückes erhalten hat, sondern lediglich, dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand. Die Steuererklärung 2007 ging am 02.01.2012 beim Finanzamt ein, sodass sie als zugegangen gilt.


Folglich ging der Antrag auf Veranlagung des Klägers nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Finanzamt ein. Der Steuerpflichtige ist demnach für 2007 zur Einkommensteuer zu veranlagen.




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRSteuerverfahrensrecht/AuswirkungenaufdiePraxis.png)


Der BFH hat mit dieser Entscheidung endgültig erklärt, dass § 108 Abs. 3 AO nicht nur für Handlungs- und Erklärungspflichten gilt, sondern auch auf „uneigentliche“ Fristen ausgeweitet werden kann. § 108 Abs. 3 AO unterscheidet demnach nicht zwischen „eigentlichen“ und „uneigentlichen“ Fristen. Beide Fristenarten sind von der Vorschrift des § 108 Abs. 3 AO erfasst. Zu beachten ist, dass eine „normale“ Einkommenssteuererklärung nicht für die Verjährungshemmung ausreicht. Hierfür ist z.B. eine Einkommensteuererklärung im Sinne des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG erforderlich. Praktische Bedeutung hat das Urteil auch, weil im Jahr 2017 der 31.12. auf einen Sonntag fällt.




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRSteuerverfahrensrecht/LinkzumUrteil.png)


http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bfh&Art=en&nr=32937





 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRSteuerverfahrensrecht/Unten2.png)





© Christoph Bieramperl / Prof. Dr. Sven Müller-Grune

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