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Version [12132]

Dies ist eine alte Version von WIPR1Fallbearbeitung erstellt von WojciechLisiewicz am 2011-10-15 13:36:30.

 

Systematische Fallbearbeitung


Vom Studenten einer juristischen Fachrichtung und vom Juristen im Einsatz wird - mal ausdrücklich, mal nicht - die sog. systematische Fallbearbeitung verlangt. Diese wiederum ist nichts anderes, als die Prüfungsform im Studium, mit der das Denken in Strukturen geprüft werden kann, ohne das eine systematische Fallprüfung nicht gelingen kann. Arbeitet der Jurist nicht systematisch und strukturiert, ist dem Ergebnis seiner Arbeit nicht zu trauen. Ein nachvollziehbarer, logischer und mit Begründung versehener Weg der Lösungsfindung überzeugt im Streitfall den Richter viel eher als ein wie im Quiz geschossenes, sei es auch so geniales Ergebnis. Deshalb steht die systematische Fallbearbeitung im Zentrum der juristischen Ausbildung.

A. Gutachtenstil
Dabei bedeutet die systematische Fallbearbeitung neben der strukturierten Denkweise (vgl. Hinweise zur juristischen Struktur) eine saubere Formulierung dessen, was als Ergebnis der Analyse präsentiert werden soll. Der Richter formuliert in der Regel im sog. Urteilstil, bei dem er seine Entscheidung vorweg nennt und sie anschließend begründet. In der Ausbildung sowie bei juristischer Beratung ist hingegen der Gutachtenstil das geeignetere Instrument, weil es einen logischen Gang von Frage zur Antwort adäquat abbildet. Im Studium muss der angehende Jurist somit den Gutachtenstil lernen, um ihn später aktiv anwenden zu können.

Der Gutachtenstil verlangt vom Gutachter Benutzung bestimmter Struktur der Darstellung seiner Überlegungen zur juristischen Frage. Wie dies geschieht, zeigt die nachstehende Abbildung:

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/WIPR1Fallbearbeitung/gutachtenstil.png)

Auch beim Gutachtenstil zeigen sich Vorteile der strikten Befolgung von Strukturen - der Gutachtenstil hat die Aufgabe, die Struktur abzubilden. Deshalb finden sich alle Elemente der Grundstrukturen (Rechtsfolge - Voraussetzungen) auch im Gutachten wieder. Am besten zeigt es folgende Abbildung:

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/WIPR1Fallbearbeitung/gutachten_vs_struktur.png)

B. Systematische Fallbearbeitung und Rechtsstaat
Die systematische Fallbearbeitung ist keine sinnfreie Kunst. Ohne eine strukturierte, für Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte sorgende und kalkulierbare Rechtsanwendung sind Anwendungsregeln zwingend erforderlich. Deshalb erfüllen die Regeln für die Werkstatt eines Juristen eine wichtige Aufgabe im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit der Rechtsordnung. In vielen Ländern, in denen die rechtsstaatliche Tradition nicht ausgeprägt ist, hängt dies untrennbar mit dem Umstand zusammen, dass strukturiertes, systematisches Arbeiten für Juristen keineswegs selbstverständlich ist.

Und zum Schluss noch ein kleiner Hinweis, der die vorangegangenen Ausführungen auf eine andere Art und Weise zusammenfasst: die systematische Fallbearbeitung ist kein Kreuzworträtsel; auf das Ergebnis kommt es viel weniger an, als auf die nachvollziehbare, logische und gemäß der Problemstruktur durchgeführte Analyse!

C. Ein Beispiel
Wie der Gutachtenstil im konkreten Fall aussehen könnte, soll nachstehend kurz geschildert werden.

1. Sachverhalt - Ein Schnäppchen aus dem Internet
Stellen Sie sich folgenden Fall vor:
Pfiffig (P) findet im Onlineshop des Duselig (D) ein Notebook der Marke Birne, das normalerweise ca. 910 EUR kostet. In der Beschreibung des Gerätes steht u. a. „Preis auf Anfrage“. P erfragt den Preis per E-Mail. In der Antwort mit dem Betreff „Angebot“ teilt ihm D mit, dass P das Gerät für 190 EUR erwerben kann. P ist begeistert und schreibt dem D sofort, dass er das Angebot gern in Anspruch nehmen möchte.
Dabei hat sich D allerdings vertippt und statt 910 EUR 190 EUR geschrieben. Diese Angabe wurde durch das Warenwirtschaftssystem des Onlineshops übernommen, so dass das Gerät anschließend an P mit einer Rechnung über 190 EUR plus Versandkosten gesendet wird. P freut sich über das Schnäppchen und bezahlt es sofort nach Erhalt. D bemerkt den Fehler kurz darauf und meldet sich sofort bei P. Er teilt dem D mit, dass hier ein Irrtum vorliegt, weshalb er um Rückgabe des Gerätes bittet.
P ist damit nicht einverstanden. Schließlich wurde hier seiner Meinung nach ein Vertrag geschlossen, an den sich D halten muss.
Kann P das Gerät behalten oder muss er es zurückgeben?

2. Kurze Analyse
P kann das Gerät behalten, wenn ihm diesbezüglich ein Recht zusteht. Dieses Recht kann sich im vorliegenden Fall aus dem Vertrag zwischen P und D ergeben. Deshalb wird sich das Gutachten auf die Prüfung eines Vertrages beziehen - ausgehend von der im Fall aufgeworfenen Frage.

3. Das Gutachten
SchrittFormulierung im GutachtenErläuterung
1P könnte das Gerät behalten.Obersatz - Hauptfrage - Punkt 1
2Dafür müsste zwischen P und D ein Vertrag bestehen, der zum Behalten der Sache berechtigt.Voraussetzungen - Punkt 2. Hier ist es nur eine.
3Zu prüfen ist, ob zwischen P und D ein Kaufvertrag besteht.Einstieg in die Subsumtion - Punkt 3. Da dies nicht mit einem Satz festgestellt werden kann, ist hier genauer zu gliedern - das Gutachten beginnt sozusagen "von vorn"
3aZwischen P und D könnte ein Vertrag bestehen, indem sie die Übersendung der Ware vereinbart haben.Ein neuer Obersatz - zur Teilfrage - Punkt 3. a)
3bDafür müssten sie den Vertrag geschlossen haben (a), es müsste sich dabei inhaltlich um einen Kaufvertrag handeln (b) und dieser müsste auch wirksam sein (c).Dies sind wieder die einzelnen Voraussetzungen zur Beantwortung der Teilfrage, Punkt 3b
3cP und D haben per E-Mail Kontakt aufgenommen und haben zum Ausdruck gebracht, dass P ein Notebook kaufen, D verkaufen will. Damit brachten Sie zum Ausdruck, dass ein Vertrag geschlossen wird. (...) Dabei sollte P das Gerät gegen Kaufpreis behalten. Dies bedeutet, dass zwischen P und D auch ein Kaufvertrag geschlossen werden sollte. Subsumtion der Voraussetzungen, die unter 3b genannt wurden - damit gehört dies zu Punkt 3c im Sinne der oben dargestellten Übersicht zu Gutachtenstil
Allerdings stellt sich die Frage, ob der Vertrag auch wirksam ist. Der Vertrag könnte dadurch unwirksam sein, dass P im vorliegenden Fall irrtümlich einen anderen Preis angegeben hat, als eigentlich gewollt und deshalb vom Vertrag Abstand nehmen möchte.Hier taucht bei der Subsumtion ein Problem auf, der einer näheren Betrachtung bedarf. An dieser Stelle ist erneut tiefer in die Details einzusteigen und eine weitere Ebene des Gutachtens ist mit einem Obersatz; eine weitere Frage wird deshalb im Konjunktiv aufgeworfen
(...) die Anfechtung wäre im Detail zu prüfen
3dDa der Vertrag infolge Anfechtung gem. § 142 BGB nichtig ist, besteht zwischen P und D kein VertragNun ist das Ergebnis zur Frage zu liefern, ob ein Vertrag besteht
4Deshalb kann P das Gerät nicht behaltenAnschließend ist das Gesamtergebnis festzuhalten - die "letzte Klammer" ist zu schließen


Weiter mit einigen Lernhinweisen.

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