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BGHZ 86, 240

Kein Haftung für 'wrongful life'

Urteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 114/81


Amtlicher Leitsatz:

Ist die Gefahr der Schädigung eines Ungeborenen (der durch Röteln-Erkrankung der Mutter während der Frühschwangerschaft), die den Wunsch der Mutter auf Unterbrechung der Schwangerschaft gerechtfertigt hätte, von dem die Mutter beratenden Arzt schuldhaft nicht erkannt worden, haftet dieser den Eltern auf Ersatz der durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen (über den Ersatz des normalen Unterhalts war nicht zu entscheiden).
Ein Ersatzanspruch des Kindes gegen den Arzt besteht nicht.

Sachverhalt:

Die am 24. Februar 1977 geborene Erstklägerin ist eine eheliche Tochter der Zweitklägerin und des Drittklägers (künftig: Kläger). Die Erstklägerin ist gesundheitlich aufs schwerste geschädigt, weil ihre Mutter, die Zweitklägerin, während der ersten Schwangerschaftswochen an Röteln (rubeola) erkrankt war. Die Kläger werfen dem beklagten Frauenarzt vor, daß er diese Erkrankung der Mutter nicht erkannt habe, so daß die - an sich erwünscht gewesene - Schwangerschaft nicht unterbrochen worden sei.
Kind und Eltern begehren die Feststellung, daß der Beklagte ihnen - vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsübergangs - »allen Schaden zu ersetzen hat, der ihnen durch die Röteln-Erkrankung der Zweitklägerin während der Schwangerschaft entstanden ist und noch entstehen wird«.
Das Landgericht hat die Klage der Erstklägerin abgewiesen, dem Feststellungsbegehren der Eltern aber stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Erstklägerin zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten auch die Klage der Eltern abgewiesen. (Das Berufungsurteil mit näherer Darstellung des Sachverhalts ist abgedruckt in VersR 1981,757).
Nur die Revision der Eltern hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

A.
Das Berufungsgericht hält die Ansprüche aller Kläger für unschlüssig. Es führt im einzelnen aus: I. Auch im Falle eines Behandlungsfehlers habe der Beklagte ein Rechtsgut oder Recht der Erstklägerin nicht verletzt. Zwar könne nach der Rechtsprechung eine Handlung auch dann zum Schadensersatz führen, wenn der durch sie an seiner Gesundheit Geschädigte zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren oder noch nicht gezeugt sei. Hier aber habe der Beklagte die Schädigung der Erstklägerin nicht verursacht, vielmehr laste diese ihm ein Verhalten an, dem sie ihr Leben und ihre Rechtsfähigkeit verdanke. Ein Recht auf Abbruch der sie betreffenden Schwangerschaft habe die Leibesfrucht schon deshalb nicht, weil die Entscheidung darüber, soweit die Abtreibung rechtlich hingenommen werde, allein von der Schwangeren abhänge. Auch lasse sich die Alternative zwischen Existenz und Nicht-Existenz nicht mit juristischen Schadenskategorien erfassen. Schließlich habe der Beklagte durch die Verhinderung der Schwangerschaftsunterbrechung auch kein die Klägerin schützendes Gesetz verletzt.
Der zwischen der Zweitklägerin und dem Beklagten abgeschlossene Behandlungsvertrag habe zwar auch Schutzwirkung zugunsten der Erstklägerin entfaltet. Jedoch habe gerade seine Pflicht, die Zweitklägerin über Risiken der Schwangerschaft und eine mögliche Schädigung der Leibesfrucht aufzuklären, allein deren Interesse gedient.
II. Die Ansprüche der Eltern legt das Berufungsgericht dahin aus, daß sich das Feststellungsbegehren der Zweitklägerin auch auf immateriellen Schaden (wegen der Notwendigkeit einer durch Kaiserschnitt erschwerten Geburt), dasjenige des Klägers allein auf materiellen Schaden beziehe. Es verneint jedoch Ansprüche beider.
a) Ansprüche der Zweitklägerin
aa) Das Berufungsgericht will offenlassen, ob die (hier erhöhte) Belastung mit wirtschaftlichen Unterhaltspflichten als Schaden geltend gemacht werden könne. Jedenfalls träfen die vom erkennenden Senat in seinen beiden Urteilen vom 18. März 1980 (BGHZ 76,249 und 259) entwickelten Grundsätze hier nicht zu. Zwar würde ein Behandlungsfehler des Beklagten (zu dem das Berufungsgericht keine Feststellungen trifft) die Unterhaltslast der Zweitklägerin adäquat verursacht haben. Indessen sei der Schwangerschaftsabbruch im Gegensatz zur Sterilisation eine Tötungshandlung (BVerfGE 39,1,43,46) und nach Meinung mancher gegebenenfalls nur straffrei, aber nicht gerechtfertigt. Unabhängig von letzterer Frage sei aber anders als bei einem Sterilisationsauftrag der Beklagte hier nicht verpflichtet gewesen, auch wirtschaftliche Belange der Zweitklägerin in Betracht zu ziehen. Denn eine Verpflichtung, über medizinische und eugenische Indikationen einer Schwangerschaftsunterbrechung aufzuklären, habe für ihn nur im Hinblick auf Gefahren für Leben und Gesundheit der Zweitklägerin bestanden. Hier sei es indessen allein darum gegangen, der Erstklägerin ein Leben unter schwersten Bedingungen zu ersparen. Daneben dürften zwar wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle gespielt haben, die aber für sich den Abbruch der Schwangerschaft nicht gerechtfertigt haben würden. Eine wirtschaftliche Überforderung, die auch als Rechtfertigungsgrund erwogen werde, sei nicht dargetan. Demnach habe die Wahrung der allein geltend gemachten wirtschaftlichen Belange nicht zu den Vertragspflichten des Beklagten gehört. Insoweit sei also auch keine Schadensersatzpflicht begründet.
bb) Entsprechendes gelte für Schadensersatzansprüche der Zweitklägerin aus §§ 823 Abs. 1,847 BGB im Zusammenhang mit der ungewollten, mit Komplikationen verbundenen Geburt. Auch der Ersatz solchen Schadens liege außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Vertragspflicht.
b) Ansprüche des Drittklägers
Die für den Kläger allein in Frage stehenden vertraglichen Ansprüche entfielen aus den für die Zweitklägerin dargelegten Gründen, obwohl er in den Schutzbereich des Vertrages zwischen der Zweitklägerin und dem Beklagten einbezogen gewesen sei (BGHZ 76,259,262).

B
Diese Ausführungen halten zwar der Revision der Erstklägerin (des Kindes) stand, im wesentlichen aber nicht den Revisionen der Eltern.
I. 1. Nach dem unstreitigen Sachverhalt läßt sich kaum bezweifeln, daß der Beklagte den ärztlichen Auftrag erhalten und auch angenommen hat, der Gefahr einer schweren Schädigung der Erstklägerin (Kind) durch eine Röteln-Infektion ihrer Mutter (Zweitklägerin) in den ersten Schwangerschaftswochen nachzugehen; jedenfalls ist für die Revisionsinstanz davon auszugehen. Daß er diesen Auftrag schuldhaft schlecht ausgeführt hat, hatte das Landgericht festgestellt. Das Berufungsgericht stellt - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - eine solche Feststellung dahin, obwohl der Beklagte unstreitig die Erstklägerin hinsichtlich des Ergebnisses angeblicher weiterer Blutuntersuchungen wohl wissentlich falsch unterrichtet hatte.
Für die Revisionsinstanz muß jedenfalls unterstellt werden, daß der Beklagte seine übernommene Behandlungspflicht schuldhaft versäumt hat. Der festgestellte Sachverhalt läßt überdies kaum Zweifel daran, daß es der medizinisch nicht uninformierten Zweitklägerin bei der Konsultation des Beklagten gerade darum gegangen ist, gegebenenfalls der schweren Gefahr einer irreversiblen Schädigung des soeben empfangenen Kindes durch einen Abbruch der Schwangerschaft vorzubeugen. Auch daß ein auftragsgemäßes Verhalten des Beklagten die Befürchtung erhärtet und damit den rechtzeitigen Schwangerschaftsabbruch als einzige Abhilfe ermöglicht hätte, ist revisionsmäßig zu unterstellen. Damit hat - aus der Sicht des Revisionsverfahrens - der Beklagte den von den Klägern geltend gemachten Schaden gegebenenfalls durch seine schuldhafte Verletzung des Behandlungsvertrags verursacht.
2. Bedenken gegen die Annahme einer Vertragsverletzung des Beklagten könnten allerdings bestehen, wenn man der Meinung wäre, daß die Schwangerschaftsunterbrechung, die nur strafrechtlich geregelt ist (§§ 218 ff. StGB), den Abbruch der Schwangerschaft lediglich straflos mache, während er grundsätzlich als Tötungsdelikt rechtswidrig bleibe. Diese Auffassung vertritt durchweg Sax (JZ 1977,326 ff.; vgl. auch Rudolf Schmitt JZ 1975,356; Schlund, Arztrecht 1982,64,66, der aber trotzdem einen Anspruch der Eltern bejahen will; vgl. neuerlich auch Kaufmann JZ 1982,481 ff.; jeweils mit Nachw.). Sie widerspricht aber, wie Sax selbst (aaO mit Nachw.) ausdrücklich bemerkt, nicht nur der Sicht des Gesetzgebers, sondern auch der ganz herrschenden Meinung, was auch das Berufungsgericht nicht verkennt. Der erkennende Senat sieht zu einem näheren Eingehen auf diesen dogmatischen Streit keinen Anlaß. Er hält mit der ganz herrschenden Meinung dafür, daß ein nach §§ 218 ff. StGB strafloser Schwangerschaftsabbruch jedenfalls nicht rechtswidrig ist. In dieser Hinsicht sieht er sich nicht nur durch die Materialien zu der derzeitigen gesetzlichen Regelung, sondern auch durch die Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 39,1 ff.) bestätigt, das (aaO S. 59 und sonst) für eine klare Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht eintritt.
Dann aber kann ein nach § 218a StGB straffreier Abbruch der Schwangerschaft Gegenstand eines rechtsgültigen Arztvertrages sein, - eine Beurteilung, von der trotz gewisser Bedenken auch das Berufungsgericht ausgehen dürfte.
Daß eine Rötelninfektion der Mutter gerade während der besonders gefährdeten Frühschwangerschaft ihren Entschluß zum Schwangerschaftsabbruch erlauben kann, zieht das Berufungsgericht nicht in Zweifel. Eine solche Infektion bringt die zwar nicht überwiegende, aber doch sehr hohe Wahrscheinlichkeit mit sich, daß das Kind mit Schädigungen schwerer bis schwerster Art zur Welt kommen wird (vgl. Bundestagsdrucksache 8/3630 vom 31. Januar 1980 S. 80); dem entsprechen die im vorliegenden Verfahren gewonnenen Erhebungen. Bei einer solchen Sachlage muß die werdende Mutter unter der geltenden gesetzlichen Regelung die Möglichkeit und das Recht haben, den Abbruch vornehmen zu lassen. Daß dies keine unmittelbare Pflicht des Arztes zur Mitwirkung begründet, kann hier außer Betracht bleiben.
Der Beklagte hat nicht behauptet, daß er sich bei erkannter Gefahr dem Wunsch der klagenden Mutter verschlossen haben würde.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht etwa daraus, daß das Gesetz ausdrücklich nicht auf die Prognose für das Wohl des Kindes, sondern auf die Zumutbarkeit für die Mutter ab- stellt. Das bedeutet nicht, daß das Zumutbarkeitsurteil nur auf die der Mutter unmittelbar drohende Gefahr hoher finanzieller und arbeitsmäßiger Belastung sowie insbesondere auch die seelische Belastung durch das Miterleben des Schicksals eines schwerbehinderten Kindes abstellt. Diese Gesichtspunkte haben durchaus ihre Berechtigung. Daneben aber muß auch das ethische Interesse der Mutter Berücksichtigung finden, sich als die einzige Person, der nach wohl allgemeiner Meinung die Entscheidung darüber zustehen kann, nicht dem Vorwurf oder auch nur Selbstvorwurf auszusetzen, daß sie dem Kind nicht ein unter Umständen qualvolles und der Eingliederung in die Gesellschaft schwer zugängliches Leben durch eine von der Rechtsordnung in ihre Verantwortung gestellte Entscheidung erspart hat (für das anderen Beziehungen nicht vergleichbare besondere Verantwortungsverhältnis der werdenden Mutter zu ihrer Leibesfrucht vgl. Sondervotum Rupp v. Brünneck BVerfGE 39,79 f.).
Daher ist eine dem Zeitpunkt nach gefährliche Rötelninfektion nach herrschender Meinung und rechtstatsächlicher Praxis ein Anlaß, der den Entschluß der Mutter zum Schwangerschaftsabbruch erlaubt.
II. Aus der schuldhaften Vertragsverletzung durch den Beklagten, die sich gleichzeitig auch als Gesundheitsverletzung der Zweitklägerin (Mutter) darstellen kann, können sich nach Auffassung des erkennenden Senats durchaus Ansprüche der klagenden Eltern, nicht allerdings eigene des Kindes ergeben.
1. Ansprüche der Eltern
Die Auffassung, daß sich grundsätzlich Ansprüche der Eltern ergeben können, wird im neueren Schrifttum wohl überwiegend geteilt (u. a. Deutsch VersR 1982,713,714; Fischer NJW 1981, 1991; Hagen SchHA 1982,2,6; Schlund, Arztrecht, 1982,64,66; Steffen in BGB-RGRK 12. Aufl. § 823 Rdnr. 13; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts 13. Aufl. Bd. I S. 411, Fn. 66; Schünemann JZ 1981,574,575 ff.). Doch wird das angefochtene Urteil verschiedentlich ohne nähere Stellungnahme zustimmend erwähnt. Verneint wird die Möglichkeit solcher Ansprüche insbesondere von denen, die den Schwangerschaftsabbruch mit verschiedener Begründung für nur straflos halten (s. o.). Der Senat ist, wie bemerkt, der ersteren Meinung.
a) Ansprüche der Mutter
aa) In der Geburt der Erstklägerin hat sich, wovon ausgegangen werden muß, die Gefahr, der es nach dem Entschluß der Mutter durch eine Schwangerschaftsunterbrechung vorzubeugen galt, verwirklicht. Denn die Gesamtschädigung des Kindes ist, soweit ersichtlich, so schwer, daß eine gegebenenfalls zum Schwangerschaftsabbruch bereite Mutter, hätte sie sie zuvor gekannt, darauf verzichtet hätte, das Kind auszutragen. Den dadurch der Mutter entstandenen Schaden hat der Beklagte durch seine Vertragsverletzung verursacht und muß ihn daher grundsätzlich ersetzen. Dieser Schaden kann als nach Vertragsrecht geschuldeter Vermögensschaden in dem finanziellen und sachlichen (Arbeitsleistung) Unterhaltsmehraufwand für das Kind bestehen, den die Mutter ganz oder teilweise, möglicherweise lebenslang, wird erbringen müssen. Daß es den Eltern nur um den schadensbedingten Mehraufwand, also nicht auch um den Unterhaltsaufwand geht, der auch für ein gesundes Kind entstanden wäre, hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger vor dem Senat ausdrücklich klargestellt; der Senat kann sich daher im Streitfall auf die Entscheidung über dieses Begehren beschränken. Daß auch dieser Mehraufwand einer familienrechtlichen Unterhaltspflicht entspricht, steht im Verhältnis zu einem verantwortlichen Dritten seiner Charakterisierung als Vermögensschaden nicht grundsätzlich entgegen. (Für die Ersatzfähigkeit unterhaltsrechtlich geschuldeter Aufwendungen vgl. Senatsurteile vom 18. März 1980 - BGHZ 76,249 und 259.)
Daraus ergibt sich, daß - ebenso wie bei einem planwidrig geborenen Kind - auch bei einem Kind, das so, d. h. in seinem behinderten Zustand, nach dem Wunsch der Mutter nicht hatte geboren werden sollen, jedenfalls die durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen (in BGHZ 76,249,258 noch offengelassen) als ersatzfähiger Schaden in Frage kommen können. Das gilt freilich nur, wenn und soweit sich die Gefahr, die es zu vermeiden galt, tatsächlich verwirklicht hat, also wegen der Schwere der eingetretenen Schädigung - wäre sie voraussehbar gewesen - die Austragung des Kindes unzumutbar erschienen wäre. Davon aber ist hier jedenfalls für das Revisionsverfahren auszugehen.
Anders könnte es nicht schadensrechtlich ausgeglichen werden, daß der Beklagte durch seine Nachlässigkeit der Mutter etwas aufgezwungen hat, was ihr das Gesetz nicht zumuten wollte und was sie deshalb zu vermeiden berechtigt gewesen war.
bb) Daneben hält der Senat ein Schmerzensgeld für die Mutter angesichts der notwendig gewordenen Kaiserschnittentbindung für rechtlich in Frage kommend.
Anders als in den BGHZ aaO entschiedenen Fällen beruht hier die Schwangerschaft zwar als solche nicht auf dem Versagen des Arztes, sondern auf freier Entschließung der Mutter (Zweitklägerin) oder ist von dieser doch hingenommen worden. Damit hat der Beklagte nicht durch die Zufügung einer ungewollten Entbindung unmittelbar in die körperliche Befindlichkeit der Zweitklägerin (anders im Senatsurteil vom 18. März 1980 - VI ZR 247/78 - VersR 1980,558, insoweit in BGHZ nicht abgedruckt) eingegriffen. Deshalb kann nach Auffassung des Senats hier nur diejenige Schmerzbelastung als Begründung eines Anspruchs aus § 847 BGB in Frage kommen, die schadensbedingt die mit einer natürlichen, komplikationslosen Geburt verbundenen Beschwerden übersteigt. Das könnte sich - wobei aber wiederum Feststellungen fehlen - dadurch verwirklicht haben, daß nur wegen der Schädigung des Kindes eine Kaiserschnitt-Entbindung notwendig geworden ist, was die Kläger behauptet haben. Bei der Bemessung dieses Schmerzensgeldes könnte allerdings wiederum in Betracht zu ziehen sein, daß der Mutter so ein - wie jedenfalls behauptet - nicht ganz einfacher Abtreibungseingriff erspart worden ist, dem sie sich bei vertragsmäßigem Verhalten des Beklagten unterzogen hätte.
Darüber hinaus kommen Ansprüche der Mutter aus direkter oder entsprechender Anwendung des § 847 BGB freilich nicht in Frage. Das Berufungsgericht hat ein solches Begehren auch - von der Revision unangegriffen - nicht in der Einlassung der Kläger erkannt. Deshalb mag hier nur kurz angemerkt werden, daß ein solcher Anspruch wegen der - nicht ausnahmsweise Krankheitswert erreichenden - seelischen Belastung durch das Haben eines schwer geschädigten Kindes der deutschen Rechtsordnung fremd wäre (anders in mehreren ausländischen Rechtsordnungen; vgl. etwa die Entscheidung i.S. Howard v. Lecher des Court of Appeals of New York, North Eastern Reporter, Volume 366 S. 64 ff. - »mental and emotional suffering«). Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die in einem streng umschriebenen Bereich des Ehrenschutzes für Verletzungen des Persönlichkeitsrechts eine schmerzensgeldähnliche Entschädigung gewährt (vgl. die Übersicht bei Palandt/Thomas, BGB 42. Aufl. § 823 Anm. 15), ist insoweit nicht ausdehnbar. Vor allem kann eine dem Ansatz der gesetzlichen Regelung widersprechende Geldentschädigung nicht für die Verletzung des »Rechts auf Familienplanung« als Ausstrahlung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährt werden (vgl. dazu etwa Giesen FamRZ 1970,565; Schiemann JuS 1980,709,711 ff.), soweit eine die Persönlichkeit betreffende Entscheidung des Betroffenen nur - wie hier - faktisch vereitelt wird.
b) Ansprüche des klagenden Ehemannes
Ersatzansprüche für geldlichen und sachlichen Aufwand stehen diesem in gleicher Weise wie der Frau zu. Er war insoweit in den Schutzbereich des Behandlungsverhältnisses eingeschlossen; denn es kann für die Ersatzpflicht des verantwortlichen Arztes keine Rolle spielen, wie sich die verursachte Belastung im Einzelfall zwischen den Eheleuten verteilt. Die im Senatsurteil BGHZ 76,259,262 ausgesprochenen Grundsätze gelten hier in gleicher Weise. Daß das in der Regel nicht anders sein kann, zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem - jedenfalls nach der Behauptung der klagenden Eltern - nunmehr der Vater als »Hausmann« die zeitaufwendige Pflege des geschädigten Kindes übernommen hat, um der Mutter die Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit und damit die Beschaffung des finanziellen Familienunterhalts zu ermöglichen.
Andere als materielle Ersatzansprüche kommen für den Drittkläger nicht in Frage.
2. Ansprüche des Kindes
Hier stellt sich für die inländische höchstrichterliche Rechtsprechung erstmalig unmittelbar das Problem, das im angelsächsischen Sprachbereich als »wrongful life« bezeichnet wird. Der Beklagte hat, wie oben bemerkt, den bedauernswerten Zustand des Kindes nicht verursacht; jedenfalls ist nicht behauptet, daß er ihn noch durch irgendwelche Maßnahmen habe verhindern können. Er hat jedoch unter Verstoß gegen seine der Mutter gegenüber übernommene Behandlungspflicht nicht ermöglicht, daß die Geburt eines gesundheitlich erheblich gefährdeten Kindes, bei dem sich diese Gefährdung dann auch in schwerer Form verwirklicht hat, durch den Abbruch der Schwangerschaft verhindert wurde. Insoweit in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht ist der Senat der Ansicht, daß das Kind hieraus Ansprüche nicht herleiten kann.
Inländische Rechtsprechung ist, wie bemerkt, kaum bekannt geworden. Außer dem hier angefochtenen Urteil liegt dem Senat ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. Januar 1982 - 3 U 107/81 - zur Revision vor, wo Ansprüche des Kindes selbst jedoch aus Verfahrensgründen rechtlich nicht geprüft worden sind. Ausländische Entscheidungen, die aber schon wegen der verschiedenen Rechtsgrundlagen nur beschränkt für das inländische Recht Bedeutung haben können, sind, soweit ersichtlich, in England und in den Vereinigten Staaten ergangen. In England ist ein Anspruch des Kindes unlängst verneint worden (Urteil des [London] Court of Appeal vom 19. Februar 1982 in Sachen McKay v. Essex Health Authority and Another - Bericht in Law Report February 22 1982, Court of Appeal; vgl. auch den Abdruck der Richter-»opinions« in dieser Sache in The Weekly Law Reports 1982, S. 890 ff.). Die in der Zwischenzeit dort in Kraft getretene gesetzliche Regelung schließt Ansprüche des Kindes ohnehin aus (vgl. Finch, New Law Journal 1982,235,236). Auch in den Vereinigten Staaten ist diese Auffassung seit längerer Zeit ganz herrschend; Ansprüche des Kindes sind nur in einem einzigen Fall (Court of Appeal in California i.S. Curlender v. Bio-Science 1980) rechtskräftig bejaht worden (zitiert nach der Übersicht im »Opinion« v. L. J. Stephenson, The Weekly Law Reports aaO S. 904). Zwei weitere erstinstanzliche Entscheidungen, die nicht bzw. noch nicht rechtskräftig geworden waren, erwähnt Fischer NJW 1981, 1991 Fn. 4; für den Stand von 1978 vgl. die ausführliche Darstellung von Sarno, American Law Reports = ALR, 83 3 d, S. 15 ff.).
In dem das Recht der Bundesrepublik Deutschland betreffenden Schrifttum sind die Ansichten geteilt, wobei die Ablehnung eines Anspruchs des Kindes überwiegt. Einen solchen Anspruch befürworten zwar Deutsch (aaO) und wohl auch Plum (VersR 1982,722; vgl. auch Fuchs NJW 1981,610,613). Verneint werden Ansprüche des Kindes selbst aber nicht nur von allen, die die nicht ermöglichte Abtreibung überhaupt nicht als Haftungsgrund anerkennen wollen, sondern auch von Autoren, die gegebenenfalls Ansprüche der Eltern anerkennen (so etwa Fischer, Hagen, Schlund, Steffen, Schünemann, je aaO). Der Senat folgt bei seiner Ablehnung eines kindlichen Schadensersatzanspruches aus dem Rechtsgrund »wrongful life« bzw. »wrongful birth« folgenden Erwägungen:
a) Eine unmittelbare deliktsrechtliche Pflicht, die Geburt einer Leibesfrucht deshalb zu verhindern, weil das Kind voraussichtlich mit Gebrechen behaftet sein wird, die sein Leben aus der Sicht der Gesellschaft oder aus seiner unterstellten eigenen Sicht (für die naturgemäß nicht der geringste Anhalt besteht) »unwert« erscheinen läßt, müßte innerhalb des allgemein auf Integritätsschutz ausgerichteten Kreises der deliktischen Verhaltensnormen einen Fremdkörper bilden. Es gibt sie nicht. Das gilt selbst für Fälle, in denen - anders als hier - nicht nur die Gefahr einer Schädigung besteht, sondern z. B. im Wege der heute in verdächtigen Fällen weitgehend üblichen Amniocentese (Fruchtwasseruntersuchung) ein schwerer genetischer Mangel - etwa beim Mongolismus - enigermaßen sicher zu prognostizieren ist. Und das gilt auch, obgleich nach vielleicht überwiegender Meinung und wohl auch rechtstatsächlicher Praxis die Geburt jedenfalls solcher Kinder verhindert werden sollte. Das menschliche Leben, das nach Abschluß der Nidation auch den Nasciturus umfaßt (BVerfG aaO S. 37), ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Daher ist auch anerkannt, daß die Pflicht, das Leben eines Erkrankten oder schwer Verletzten zu erhalten, nicht von dem Urteil über den Wert des erhaltbaren Lebenszustandes abhängig gemacht werden darf. Nur bei der Frage, inwieweit nur noch einzelne Lebensfunktionen durch künstliche Maßnahmen ohne Hoffnung auf Besserung aufrecht zu erhalten sind, mag dieser Grundsatz eine gewisse Grenze finden (vgl. Sax JZ 1975,137,149).
Darum aber geht es hier nicht. Allgemein erlaubt gerade die durch die Erfahrung mit der national-sozialistischen Unrechtsherrschaft beeinflußte Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland aus gutem Grund kein rechtlich relevantes Urteil über den Lebenswert fremden Lebens (vgl. etwa Hagen aaO S. 7).
b) Darum könnte sich die eine Ersatzpflicht begründende Pflichtwidrigkeit des Beklagten ohnehin nur aus dem Behandlungsverhältnis zur Mutter ergeben.
aa) Einerseits können allerdings auch Vertragspflichten, selbst wenn sie einem Dritten gegenüber bestehen, gleichzeitig eine deliktische Einstandspflicht begründen (Nachweise etwa bei Palandt/Thomas, BGB 42. Aufl. Übersicht vor § 823 Anm. 2). Insoweit aber gilt das bereits Gesagte. Weder die Ermöglichung noch die Nichtverhinderung von Leben verletzt (anders, soweit die Qualität dieses Lebens durch Tun oder Unterlassen erst beeinträchtigt wird) ein nach § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut. Das ist nicht nur eine dogmatische Erwägung. Sie wird vielmehr auch dadurch gestützt, daß schon die ethische Wertung des erlaubten Schwangerschaftsabbruchs in der allgemeinen Meinung keine einheitliche ist (wobei sich der Beklagte hier allerdings nie auf ethische Bedenken berufen hat; er hätte sonst auch die Beratung und Behandlung der Mutter ablehnen müssen).
Vor allem nämlich entzieht es sich, eben weil es nicht um ein Integritätsinteresse geht, den Möglichkeiten einer allgemeinverbindlichen Beurteilung, ob Leben mit schweren Behinderungen gegenüber der Alternative des Nichtlebens überhaupt im Rechtssinne einen Schaden oder aber eine immer noch günstigere Lage darstellt (vgl. dazu die Stellungnahme von L. J. Stephenson, The Weekly Law Reports aaO S. 90; »Man, who knows nothing of death or nothingness, cannot possibly know, wether that is so.«).
bb) Damit bleibt nur eine unmittelbare Vertragspflicht des Beklagten zu prüfen, die dieser vermöge einer (gegebenenfalls nur sinngemäß) vereinbarten Schutzwirkung zugunsten des noch ungeborenen Kindes diesem gegenüber zu erfüllen gehabt hätte. Auch das vermag der Senat indessen nicht zu bejahen, obwohl ein solcher Behandlungsvertrag in anderer Richtung sehr wohl Schutzwirkungen für das Kind entfalten kann, wie auch das Berufungsgericht erkennt.
Es stünde dem allerdings nicht entgegen, daß das klagende Kind im Zeitpunkt des haftungsbegründenden Verhaltens des Beklagten noch nicht rechtsfähig war (§ 1 BGB). Auch für das Deliktsrecht ist (s. o.) anerkannt, daß eine haftungsbegründende Handlung vor der Geburt des Geschädigten (BGHZ 58,48), ja sogar vor der Erzeugung liegen kann (BGHZ 8,243). Hinsichtlich eines Schadensersatzanspruches, der sich auf eine das Ungeborene begünstigende Vertragspflicht gründet, kann nichts anderes gelten.
Der Senat sieht sich jedoch an der Feststellung, daß eine solche Schutzwirkung ausbedungen war, schon deshalb gehindert, weil das geltende Recht der Mutter die rechtfertigende Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch ausdrücklich nur in ihrem eigenen Interesse gewährt. Diese gesetzliche Wertung mag in ihrer Motivation nicht zwingend sein; sie ist auch, soweit ersichtlich, in anderen Kulturstaaten, deren Rechtsordnung den Schwangerschaftsabbruch nicht grundsätzlich ablehnt, nicht festzustellen. Das hindert nicht, daß sie für den Rechtsbereich der Bundesrepublik schon aus verfassungsrechtlichen Gründen zu respektieren ist (BVerfG aaO). Damit steht sie nicht nur einer im Sinne einer Begünstigung des zu vermeidenden Kindes erweiterten Auslegung des Behandlungsvertrags entgegen, sondern, wie bemerkt, auch einer durch die Übernahme des Behandlungsauftrags unmittelbar dem Kind gegenüber entstandenen deliktischen Garantenpflicht des Arztes.
cc) Aber auch abgesehen von dieser speziellen Ausgestaltung der deutschen Abtreibungsregelung hält der Senat die Ablehnung eigener Ansprüche des Kindes in solchen Fällen für zwingend. Sie sind nur tragbar, wo schuldhaft durch menschliches Handeln dessen Integritätsinteresse beeinträchtigt worden ist, wobei ein solches Verhalten, wie bemerkt, zeitlich sogar vor der Erzeugung liegen kann. Im übrigen kann es nicht so sehr auf auch vom Berufungsgericht angeführte Argumente formaler Logik ankommen, etwa dahingehend, daß es nicht denkbar sei, als Rechtssubjekt Ansprüche aus einem Verhalten herzuleiten, das die Existenz und Rechtsfähigkeit erst begründet hat (vgl. dazu schon Heldrich JZ 1965,593,594). Vielmehr hält der Senat dafür, daß in Fällen wie dem vorliegenden überhaupt die Grenzen erreicht und überschritten sind, innerhalb derer eine rechtliche Anspruchsregelung tragbar ist. Der Mensch hat grundsätzlich sein Leben so hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet ist, und hat keinen Anspruch auf seine Verhütung oder Vernichtung durch andere. Wenn der Mutter - nur sie kann es sein - von der Rechtsordnung gleichwohl eine solche Entscheidung eingeräumt wird, dann kann das auch ihr gegen- über keinen Anspruch des Kindes auf Nichtexistenz begründen. Daran ändert es nichts, daß in ihre Entscheidung legitimermaßen auch das Mitleid mit dem schwer geschädigten Leben einfließen mag (vgl. Fischer aaO S. 1992: »Motivbündel«; Larenz, aaO).
Wollte man gegenüber dem Arzt anders entscheiden, dann müßte man folgerichtig auch eine Haftung in anderen Fällen bejahen, etwa bei Eltern, die trotz schwerer genetischer Belastung ein Kind gezeugt haben und deren Verantwortlichkeit sich derzeit nur in der gegebenenfalls erhöhten Unterhaltspflicht auswirkt, oder bei Personen, die für diese genetische Belastung verantwortlich sind, auch dann, wenn diese den in erster Linie verantwortlichen Eltern bei der Zeugung bekannt war (anders als in dem der Entscheidung BGHZ 8,243 zugrundeliegenden Fall, bei dem es um die auf einer Blutübertragung beruhende Luesinfektion der Mutter ging; vgl. etwa Schlund aaO S. 67). Und es könnte sich insoweit eine Einstandspflicht für mehrere Generationen ergeben, weshalb schon eine Haftungsbegrenzung auf die erste Generation erwogen worden ist (vgl. den Hinweis von Giesen, Arzthaftungsrecht, 1981, S. 119 bei Fn. 867; ferner Heldrich aaO S. 599).
Das alles zeigt, wie bemerkt, nach Auffassung des Senats, daß hier ein Bereich anfängt, in dem eine rechtliche Regelung der Verantwortung für weitgehend schicksalhafte und naturbedingte Verläufe nicht mehr sinnvoll und tragbar ist.
dd) Der Senat verkennt nicht, daß auf diese Weise schwer behinderte Kinder wirtschaftlich schutzlos bleiben, sobald die Unterhaltspflicht der Eltern - etwa bei deren Ableben - aufhört. Das muß aber ebenso hingenommen werden, wie in den Fällen, in denen die Mutter sich nicht zur Schwangerschaftsunterbrechung entschließen kann oder die gesetzliche Frist für diese aus irgendwelchen Gründen versäumt wurde. Allgemein verwirklicht sich hier ein schicksalhafter Verlauf, auf dessen Abbruch das Kind selbst keinen Anspruch haben kann und dessen Auswirkungen im Rahmen des Möglichen von der Allgemeinheit ausgeglichen werden müssen.
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