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Fallbeispiele Gesellschaftsrecht - Falllösung


Fall 20

Die börsennotierte Z-AG ist seit mehreren Jahren im Bereich der Gebäudereinigung tätig. Ab 1990 nutzt sie die Möglichkeit, durch Beschäftigung polnischer Arbeitskräfte über rechtlich selbständige Leiharbeitsfirmen in Berlin auch Privathaushalte zu reinigen. Diese Geschäftssparte floriert in den folgenden Jahren derart, dass die Z-AG im Februar 2004 beschließt, diesen Geschäftsteil auszugliedern durch Einbringung des Betriebsvermögens in eine 100% Tochtergesellschaft in Form einer GmbH. In der Satzung der Z-AG heißt es: „Gegenstand der Gesellschaft ist die Reinigung von Gebäuden sowie sämtlicher im Zusammenhang hiermit stehender Geschäfte. Die Gesellschaft darf andere Unternehmen errichten und erwerben, sowie sich an anderen Unternehmen beteiligen. Sie kann ihren Betrieb ganz oder teilweise solchen Unternehmen überlassen.“ Gleichzeitig überlegt der Vorstand, ob sie das gesamte Unternehmen aus steuerlichen Gründen nach Irland verlegen soll. Die Leiharbeitsfirma L, die nach niederländischem Recht als „besloten vennootschap“ (BV) gegründet wurde, aber ihre Geschäfte von Berlin aus betreibt, hat gegen die Z-AG einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 25.000 €.

1. Der A, der etwa 1,5% der Aktien der Z-AG hält, möchte wissen, ob die Ausgliederung der GmbH ohne seine Beteiligung möglich ist.

2. Der Vorstand der Z-AG lässt ihre Rechtsabteilung prüfen, ob sie die Sitzverlegung anmelden muss.

3. Die L-BV fragt, ob sie ihren Anspruch gegen die Z-AG gerichtlich durchsetzen kann.




Formulierungsvorschlag Fall 20



1. Beteiligung des A an der Entscheidung über die Ausgliederung


1.1 A als Aktionär kann nur über die Hauptversammlung Einfluss auf die Ge-schäfte der Z-AG nehmen (§ 118 I AktG). Eine Beteiligung des A an der Entscheidung über die Ausgliederung ist erforderlich, soweit die Beteiligung der Hauptversammlung vorgeschrieben ist.

1.1.1 Für die Ausgliederung als Unterfall der Spaltung von Gesellschaften (§§ 1 I Nr. 2, 123 III Nr. 2 UmwG) aus dem Vermögen einer AG ist in den §§ 141-146 UmwG keine besondere Beteiligung der Hauptversammlung vorgesehen.

1.1.2 Die Ausgliederung ist kein Vertrag über die Übertragung des gesamten Vermögens der AG, so dass die Hauptversammlung nicht nach § 179a I AktG beteiligt werden musste.

1.1.3 Eine Beteiligung der Hauptversammlung ist nach § 179 I AktG erforderlich, wenn die Ausgliederung eine Satzungsänderung darstellt oder einer Satzungsänderung gleichsteht. Zwar wird die endgültige Aufgabe eines Betriebsteils als Gegenstands- und damit Satzungsänderung der AG angesehen. Die rechtliche Verselbständigung eines Betriebsteils zu einer abhängigen Gesellschaft ist wegen der Erhaltung des konzernabhängigen Unternehmens im Wirtschaftsverband jedoch keine Gegenstandsänderung. Dies gilt insbesondere, wenn die Satzung einer AG wie hier eine Konzernierungsklausel enthält.

1.1.4 Ein Fall der zwingenden Beteiligung der Hauptversammlung nach dem Katalog des § 119 I AktG liegt bei der Ausgliederung nicht vor.

1.1.5 Das Erfordernis der Beteiligung der Hauptversammlung kann sich aus der allgemeinen Regelung des § 119 II AktG ergeben. Danach kann die Hauptversammlung über Maßnahmen der Geschäftsführung auf Verlangen des Vorstands entscheiden. Der Vorstand hat hier nicht um eine solche Entscheidung der Hauptversammlung gebeten. Allerdings führt die Ausgliederung der Tochtergesellschaft zu einer Verminderung der Kompetenz der Hauptversammlung, da diese nicht Organ der Tochtergesellschaft ist. Umstritten ist daher, ob in diesem Fall eine Pflicht des Vorstands zur Herbei-führung der Entscheidung der Hauptversammlung besteht.

1.1.5.1 Zum einen wird die Konzernbildung als autonome Kompetenz des Vorstands gesehen, so dass eine Mitwirkung des Aufsichtsrats allenfalls über § 111 IV AktG erforderlich wäre. Als Argument wird die gesetzliche vorgesehene Kompetenzverteilung innerhalb der AG gesehen. Die Organisation der Vermögensverwaltung ist Aufgabe des Vorstands. Nach § 179 a AktG ist eine Entscheidung der Hauptversammlung erst bei Übertragung des gesamten Vermögens vorgesehen. Hiernach müsste die Hauptversammlung der Ausgliederung nicht zustimmen.

1.1.5.2 Dagegen wird entweder über eine Gesetzesanalogie zu §§ 179a, 179, 292 i.V.m. 293 AktG oder eine rechtsfortbildende Umdeutung des § 119 II AktG ein Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung für die Ausgliederung gefordert. Das Befragungsrecht des Vorstands würde sich bei derartigen Eingriffen in die Mitgliedsrechte der Aktionäre in eine Vorlagepflicht wandeln. Die Ausgliederung eines wertvollen, im Kernbereich des Unternehmens angesiedelten Betriebsteils komme einer Strukturänderung gleich. Als Argument wird vor allem darauf verwiesen, dass eine solche Ausgliederung über Maßnahmen der laufenden Geschäftsführung erheblich hinausgehe. Damit wäre hier eine Beteiligung der Hauptversammlung erforderlich.

1.1.5.3 Die besseren Gründe sprechen für die zweite Ansicht, wenn auch eine man-gelnde dogmatische Durchdringung des Problems nicht zu verkennen ist. Der Fall der erheblichen Vermögensverlagerung aus dem Kompetenzbereich der Hauptversammlung hinaus stellt einen erheblichen Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte dar. Dieser Eingriff ist auch bei der gesetzlich festgelegten Kompetenzverteilung zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt worden.

1.1.6 Damit ist die Zustimmung der Hauptversammlung der Z-AG für die Ausgliederung erforderlich.

Ergebnis: A kann nach § 122 I AktG nicht selbst die Einberufung der Hauptversammlung zur Entscheidung über die Ausgliederung verlangen, da er nur einen Anteil von 1,5% am Grundkapital hat, für eine Einberufung auf Verlangen einer Minderheit aber mindestens 5% der Anteile erforderlich ist.

2. Anmeldung der Sitzverlegung zum Handelsregister


2.1 Nach § 45 I AktG muss jede Sitzverlegung einer AG beim zuständigen Ge-richt (§ 14 AktG) zur Eintragung im Handelsregister angemeldet werden. Zuständig ist dabei das Gericht am bisherigen satzungsmäßigen Sitz der AG (§ 5 I AktG), also dem Sitz des Vorstands oder der Verwaltung (§ 5 II AktG).

2.2 Die Verlegung des Sitzes einer im Inland gegründeten Kapitalgesellschaft in das Ausland führt nach herrschender Meinung zur Auflösung der Gesellschaft. Diese Sitzverlegung kann danach nicht in das Handelsregister eingetragen werden.

2.3 Wegen der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU nach Art. 43, 48 EGV sind die nach dem Recht eines Mitgliedsstaats der EU gegründeten Gesellschaften in anderen Mitgliedsstaaten den geschützten Gesellschaftsformen gleichzustellen. Das Personalstatut der Gesellschaften richtet sich daher nicht nach dem Recht ihres Sitzes (Sitztheorie), sondern nach dem Recht ihres Gründungsstaats (Gründungstheorie). Deutschen Gesellschaften darf wegen der Niederlassungsfreiheit die Sitzverlegung in das EU-Ausland nicht verhindert oder erschwert werden. Eine Auflösung der Gesellschaft macht eine solche Sitzverlegung unmöglich. Daher muss eine Sitzverlegung in das EU-Ausland ohne Auflösung der AG möglich sein.

Ergebnis: Die Z-AG muss die Sitzverlegung nach § 45 AktG beim zuständigen Gericht anmelden.

3. Durchsetzbarkeit des Anspruchs der L-BV


3.1 Die L-BV kann ihren Schadensersatzanspruch in Höhe von 25.000 € nur dann gerichtlich durchsetzen, wenn sie parteifähig ist. Das ist nach § 50 I ZPO nur derjenige, der nach deutschem Recht rechtsfähig ist.

3.1.1 Nach deutschem Recht bestimmt sich üblicherweise die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht, das am Sitz ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt (Sitztheorie). Das gilt auch bei einer wirksamen Gründung in einem anderen Staat und anschließender Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland. Entscheidend ist danach, ob die Gesellschaft nach dem Recht des Gründungsstaates fortbesteht und nach deutschem Recht rechtsfähig ist. Die L-BV ist zwar nach niederländischem Recht wirksam gegründet worden, hat aber ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland. Das deutsche Recht, das nach der Sitztheorie maßgeblich ist, kennt die BV nicht, so dass eine Parteifähigkeit der L-BV nicht gegeben wäre.

3.1.2 Wegen der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EGV muss die Rechtsfähigkeit ausländischer, nach dem Recht eines Mitgliedsstaats der EU gegründeten Gesellschaft nach dem Gründungsrecht bestimmt werden. Insbesondere kann eine ausländische Kapitalgesellschaft mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland nicht als deutsche Personengesellschaft angesehen werden. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn die Gründung im Ausland lediglich zur Verschleierung (Schein- oder Briefkastenfirma) erfolgte. Die nach niederländischem Recht rechtsfähige L-BV ist daher auch nach deutschem Recht rechts- und parteifähig.

Ergebnis: Die L-BV kann ihren Anspruch gegen die Z-AG vor einem deutschen Gericht geltend machen.






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