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Fallbeispiele Gesellschaftsrecht - Falllösung



Fall 3

Die Freunde A und B beschließen, in ihrer Freizeit Antiquitäten über das Internet zu versteigern, um dadurch ihre schmalen Einkommen als Angestellte im städtischen Bauamt aufzubessern. A, der sich für Antiquitäten interessiert, kauft dabei auf den Floh- und Antikmärkten der Umgebung interessante Objekte. Der Internet-begeisterte B fotografiert die Objekte und organisiert die Versteigerung über die eBay-Plattform über seinen Namen und seine Privatadresse. Im ersten Jahr erzielen die beiden dadurch einen Umsatz von 40.000 €. R ersteigert für 245 € einen Bilderrahmen, der als Einzelstück mit einem Alter von 120 Jahren bezeichnet wird. Drei Wochen nach Erhalt des Bilderrahmens stellt er fest, dass es sich um eine gut gemachte Imitation aus Taiwan handelt, die allenfalls drei Jahre alt ist.

1. Kann R den Kauf des Bilderrahmens widerrufen?
2. Gegen wen kann R Ansprüche geltend machen, wenn er die Unechtheit des Bilderrahmens erst nach einem Jahr feststellt?



Formulierungsvorschlag Fall 3


1. Widerrufsrecht des R


1.1 Gem. §§ 312d I, 355 I BGB hat R ein Widerrufsrecht, wenn der Kauf des Bilderrahmens ein Fernabsatzvertrag ist. Die Ausnahmeregel des § 312d IV Nr. 5 BGB, wonach ein Widerrufsrecht nicht bei Versteigerungen im Sinne des § 156 BGB gegeben ist, greift nicht ein. § 156 BGB beschreibt den besonderen Fall von Versteigerungen, die durch einen Zuschlag als besonderer Willenserklärung zustande kommen (Versteigerungen im Rechtssinn). Bei einer Auktion über die eBay-Plattform fehlt es an einem Zuschlag, sondern der Vertrag stellt einen Kauf gegen Höchstgebot nach Zeitablauf (§§ 145 ff., 148 BGB) dar.


1.2 Ein Fernabsatzvertrag ist nach § 312b I BGB ein unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommener Vertrag zwischen einem Verbraucher (§ 13 BGB) und einem Unternehmer (§ 14 I BGB). Das Internet stellt gem. § 312b II BGB ein Fernkommunikationsmittel dar (Teledienst).


1.3 Mangels anderer Angaben kann davon ausgegangen werden, dass R Verbraucher gem. § 13 BGB ist.


1.4 Fraglich ist, ob A und B Unternehmer im Sinne des § 14 I BGB sind. A und B sind zwar natürliche Personen, bieten aber die Antiquitäten über das Internet nicht im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit an, weil sie als natürliche Personen Angestellte im städtischen Bauamt sind. Den Handel mit Antiquitäten führen sie zudem nur gemeinsam durch. Sie könnten in dieser Verbundenheit allerdings als rechtsfähige Personengesellschaft (§ 14 II BGB) handeln.


1.4.1 Die Offene Handelsgesellschaft (OHG) kann gem. § 124 I HGB selbständig Rechte erwerben. Nach § 105 I HGB ist die OHG eine Gesellschaft i.S.d. §§ 705 BGB, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist und bei der für keinen Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist. A und B haben sich zusammen getan, um gemeinsam im Internet mit Antiquitäten zu handeln und dadurch einen Gewinn zu erzielen. Durch die vereinbare Arbeitsteilung haben sich beide einander die Förderung des gemeinsamen Zwecks versprochen. Eine Gesellschaft gem. § 705 BGB besteht zwischen ihnen. Eine Haftungsbeschränkung liegt nicht vor. Für eine OHG fehlt aber der Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma. Das Vorliegen eines Handelsgewerbes bestimmt sich nach § 1 HGB. Ist wie hier die Geschäftstätigkeit bereits aufgenommen, ist die fehlende Handelsregistereintragung gem. § 123 II HGB unschädlich. Ein Gewerbebetrieb ist gem. § 1 II HGB nur dann kein Handelsgewerbe, wenn das Unternehmen nach Art und Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Die Anhaltspunkte sprechen hier gegen dieses Erfordernis: es handelt sich bei beiden nur um eine gelegentliche Tätigkeit in der Freizeit; der Jahresumsatz ist mit 40.000 € relativ niedrig; sie haben kein Geschäftslokal, keine weiteren Mitarbeiter und nur überschaubare Investitionen für die Geschäftsaufnahme tätigen müssen. Daneben fehlt es hier am Auftreten unter einer gemeinschaftlichen Firma (§ 17 I HGB), weil B im Internet unter seinem eigenen Namen handelt.


1.4.2 A und B bilden daher eine BGB-Gesellschaft (GbR). Da der Gesellschaftsvertrag formlos geschlossen werden kann, ist die GbR wirksam entstanden. Fraglich ist aber, ob die GbR rechtsfähig ist.


1.4.2.1 Nach der früher herrschenden Meinung war die GbR nicht rechtsfähig. Angesichts der Regelung in § 714 BGB, dass „die anderen Gesellschafter“ vertreten werden, und in § 715 BGB, die ein gemeinschaftliches Vermögen „der Gesellschafter“ bezeichnet, sei das Gesellschaftsvermögen vom Privat-vermögen zu trennendes Sondervermögen der Gesellschafter. Auch fehle es an einer § 124 HGB vergleichbaren Regelung. Aus rechtlicher Sicht würden die Gesellschafter nach außen kein eigenständiges Haftungssubjekt bilden.


1.4.2.2 Die heute herrschende Meinung bejaht dagegen – mit verschiedenen Abstufungen – eine eigenständige Rechtsfähigkeit der GbR, die als solche berechtigt und verpflichtet werden kann. Das Gesamthandsprinzip anerkenne die verbundenen Gesellschafter als im Rechtsverkehr selbständig handlungsfähige Gruppe. Sie habe eine Mittelstellung zwischen natürlicher und juristischer Personen. Es könne kein Sondervermögen ohne eigenständigen Rechtsträger geben. Wegen des Grundsatzes der Identität von Personengesellschaften müsse die GbR dieselbe Rechtsfähigkeit wie die OHG (§ 124 HGB) haben, da die GbR automatisch zur OHG werde, sobald sie nach Art und Umfang kaufmännische Einrichtungen erfordert (§ 105 I i.V.m. § 1 HGB). Andere zivilrechtliche Gesetze gingen von der Rechtsfähigkeit der GbR aus (§§ 1059a BGB, 191 II Nr. 1, 202 I Nr. 1 UmwG, 11 II InsO).


1.4.2.3 Die besseren Gründe sprechen für die zweite Meinung. Die grammatischen Argumente der ersten Meinung beruhen darauf, dass diese Vorschriften unverändert aus dem 1. Entwurf des BGB übernommen wurden, in dem das Gesamthandsprinzip noch nicht bekannt ist. Konstruktiv ist die Bildung eines einheitlichen Sondervermögens, das den Gesellschaftern persönlich zu-geordnet ist, sehr fragwürdig. Daher ist die GbR als solche Unternehmerin gem. § 14 BGB. Die Gegenansicht kommt zum gleichen Ergebnis, weil sie die GbR als Zusammenschluss von Einzelunternehmern sieht. Damit wird aber übersehen, dass die Gesellschafter in ihrer persönlichen Stellung eben nicht unternehmerisch tätig werden, sondern nur im Zusammenschluss mit dem oder den anderen Gesellschaftern.


1.5 Das Widerrufsrecht kann nur innerhalb von zwei Wochen ausgeübt werden (§§ 312d I i.V.m. 355 I 2 BGB). Die Frist beginnt nach § 312 d II BGB erst mit Erfüllung der Informationspflichten gem. § 312 c II BGB. A und B haben hier dem R die erforderlichen Informationen nicht zukommen lassen. Daher hat der Fristablauf noch nicht begonnen.


1.6 Zwischenergebnis: R kann den Kaufvertrag gem. §§ 312d I, 355 I BGB widerrufen.


2. Ansprüche des R nach einem Jahr


2.1 Das Widerrufsrecht gem. §§ 312d I, 355 I BGB besteht nicht mehr. Nach § 355 III BGB erlischt das Widerrufsrecht spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss, selbst wenn die Informationspflicht nach §§ 312 d II, 312c II BGB nicht erfüllt wird. Zweck des § 355 III BGB ist die zeitliche Be-grenzung des an keinerlei Gründe geknüpfte Lösungsrecht des Verbrauchers, um so für beide Seiten Rechtssicherheit zu schaffen.


2.2 Wegen der fehlenden Echtheit des Bilderrahmens könnte R einen Anspruch gem. §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 434 BGB, 124 HGB analog auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 245 € gegen die aus A und B bestehende GbR haben.


2.2.1 Ein Sachmangel liegt vor. Der Bilderrahmen hat nicht die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 I 1 BGB), nämlich ein Alter von 120 Jahren. Da eine Nacherfüllung gem. § 439 I BGB – Beseitigung des Mangels oder Lieferung einer mangelfreien Sache – der GbR nicht möglich ist, ist eine Fristsetzung nach § 440 BGB entbehrlich.


2.2.2 Fraglich ist aber, ob der Rückzahlungsanspruch gegen die GbR geltend gemacht werden kann.


2.2.2.1 Im Zuge der früher herrschenden Meinung von der fehlenden Rechtspersönlichkeit der GbR wurde vertreten, dass Partei eines mit einer GbR geschlossenen Vertrags sowohl die GbR als auch die Gesellschafter werden (Theorie der Doppelverpflichtung). Es wird davon ausgegangen, dass der handelnde Gesellschafter eine „dreigespaltene Willenserklärung“ abgibt, nämlich im Namen der GbR, auch für seine Mitgesellschafter und für sich selber. Der Grund wurde darin gesehen, dass die GbR selbst nicht als Haftungsobjekt in Frage kommt und daher eine persönliche Vertragsbindung der Gesellschaf-ter konstruiert werden musste.


2.2.2.2 Da nach der heute h.M. die Gesellschaft selbst rechtsfähig ist und damit Haftungsobjekt sein kann, wird die Gesellschaft selbst als einziger Vertragspartner verpflichtet. Die Gesellschafter haften dann gem. § 128 HGB analog für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft akzessorisch (Akzessorietätstheorie). Mit diesem Ansatz kann die wenig überzeugende Konstruktion der Gegenansicht vermieden werden. Mit der Doppelverpflichtungstheorie kann zudem eine Haftung der Gesellschafter für gesetzliche Ansprüche nicht begründet werden.


2.2.2.3 R kann von der A und B GbR die Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 245 € gem. §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 434 BGB, 124 HGB analog verlangen.


2.3 R könnte bei erfolgreicher Anfechtung gem. §§ 119, 123 BGB von der aus A und B bestehenden GbR die Rückzahlung des Kaufpreises von 245 € gem. §§ 812 I 2 1. Fall BGB, 124 HGB analog verlangen.


2.3.1 R kann gem. § 119 I, II BGB den Kaufvertrag über den Bilderrahmen anfechten. Die Echtheit von Kunstwerken und Antiquitäten sind eine verkehrswesentliche Eigenschaft gem. § 119 II BGB. Allerdings ist eine Anfechtung nach § 119 II BGB neben der Sachmängelhaftung ausgeschlossen, also ab Gefahrübergang. Die Regeln zur Sachmangelgewährleistung sind als Sonderregel für das Fehlen verkehrswesentlicher Eigenschaften der Kaufsache ausgestaltet und gehen daher der allgemeinen Regel in § 119 II BGB vor.


2.3.2 Eine Anfechtung nach § 123 I BGB wegen arglistiger Täuschung hängt da-von ab, ob A und/oder B die Unechtheit des Bilderrahmens kannten und bewusst eine falsche Altersangabe im Internet veröffentlicht haben. Angesichts der Sachkenntnis des A kann davon ausgegangen werden, dass dieser die Unechtheit erkannt haben müsste. Die Anfechtung nach § 123 I BGB ist neben den Ansprüchen wegen Sachmängelgewährleistung möglich.


2.3.3 R kann die Rückzahlung des Kaufpreises auch gem. §§ 812 I 2 1. Fall BGB, 124 HGB analog von der A und B GbR verlangen.

Ergebnis: Aufgrund der analogen Anwendung des § 124 I HGB auf die GbR haften A und B als Gesellschafter der GbR auch persönlich für die Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 245 € gem. §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 434 BGB und §§ 812 I 2 1. Fall, 123 I BGB.






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