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Urheberrecht


Fall 19 - Graffiti


K, ein ostdeutscher Künstler, hat in der Zeit von 1985 bis 1988 großflächig Teile der Berliner Mauer im Bereich einer bekannten Straße in Berlin bemalt und zwischenzeitlich immer wieder ausgebessert. Als Ende 1989 die innerstädtische Grenze in Berlin wegfiel, wurde auch die Berliner Mauer abgebaut. Im Rahmen dieser Handlungen wurden auch die von K bemalten Betonflächen in Betonsegmente getrennt und anschließend entfernt. Kunsthändler H nimmt diese Mauerteile an sich und verkauft sich zu horrenden Preisen an Kunstinteressierte. Als K hiervon erfährt, gibt er sich als Maler zu erkennen. K sieht hierin einen Eingriff in seine Urheberrechte. Er beansprucht, ihn an dem von H erzielten Gewinn zu beteiligen. H entgegnet, K habe die Graffiti-Zeichnungen an die Öffentlichkeit verschenkt und niemals mit einer Entlohnung rechnen können. Daher sei es auch nicht richtig, nunmehr dafür Geld zu verlangen.

Kann K von H eine Beteiligung am Gewinn geltend machen?


Lösung


A. K könnte gegen H einen Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns gem. § 97 Abs. 1 S. 2 UrhG zustehen.

I. Bei den Graffiti-Zeichnungen des K handelt es sich um eine persönliche geistige Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG) auf dem Gebiet der bildenden Künste (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG).

II. Weiterhin müsste H das hieran entstandene Urheberrecht des K durch das Verkaufen der bemalten Mauerteile verletzt haben.

1. In Betracht kommt eine Verletzung des Verbreitungsrechts (§§ 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 Abs. 1 UrhG). Nach § 17 Abs. 1 UrhG steht dem Urheber u.a. das ausschließliche Recht zu, das Original des Werkes in Verkehr zu bringen. Ein Werk gilt als in den Verkehr gebracht, wenn es aus der internen Betriebssphäre der Öffentlichkeit (§ 15 Abs. 3 UrhG) zugeführt wird. Aufgrund dessen, dass es als ausreichend angesehen werden kann, wenn das Werk an Dritte, zu denen keine persönliche Verbindung besteht, und nur ein Exemplar überlassen wird, ist das Verbreitungsrecht vorliegend betroffen.

2. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es jedoch zu einer Erschöpfung des Verbreitungsrechts kommen. § 17 Abs. 2 UrhG bestimmt, dass die Weiterverbreitung des Originals oder etwaiger Vervielfältigungsstücke zulässig ist, wenn diese mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten in Verkehr gebracht worden sind. Es stellt sich daher die Frage, ob man bereits das öffentliche Anbringen der Zeichnungen an der Mauer als Verbreiten bzw. In-den-Verkehrbringen i.S.d. § 17 Abs. 1 UrhG ansehen kann. Bei Bejahung dieser Frage wäre das Verbreitungsrecht des K erschöpft, so dass hier lediglich eine Weiterverbreitung gegeben wäre. Gem. § 17 Abs. 2 UrhG wäre eine solche zulässig und eine Urheberrechtsverletzung würde ausscheiden.

a. Nach Auffassung des KG ist durch das Anbringen der Zeichnungen an der Mauer eine Erschöpfung eingetreten. Diesen Handlungen seien einer rechtsgeschäftlichen Entäußerung gleichzustellen, wie sie z.B. im Verschenken eines Bildes liegt. Insofern liegt es bei derartigen Schöpfungen nicht anders als bei vergleichbaren Beispielen, etwa eigenpersönlich geschaffenen Bildern auf dem Bürgersteig, bei Graffiti mit eigenpersönlicher Bedeutung auf den Bänken von Schulen oder Hörsälen. Die großflächig-plakative Veröffentlichung eines derartigen Bildes auf einer großstädtischen Mauer ist ein vom Urheber so bestimmter, einseitig-originärer – und endgültig gewollter – Veröffentlichungs-Akt, der bewusst vorgenommen wurde, ohne Rücksicht auf künftige Nutzungsrechte. Die Veröffentlichung an öffentlich zugänglicher Stelle sei Selbstzweck und trage ihren Lohn gewissermaßen in sich. Nachträglich entstehende kommerzielle Nutzungsmöglichkeiten änderten an dieser Veröffentlichung und Entäußerung nichts.

b. Dieser Auffassung ist allerdings mit der h.M. zu widersprechen. Durch die §§ 15 ff., 17 Abs. 2 UrhG soll sichergestellt werden, dass der Urheber grundsätzlich an jeder Nutzung seines Werkes teilhaben kann und gewähren dem Urheber aus diesem Grund einen umfassenden, allerdings jeweils eng umrissenen Schutz. Die Vorschrift des § 17 UrhG soll dem Urheber in jedem Fall die erste Verbreitung seines Werkes sichern, um ihm hierdurch die Möglichkeit zu geben, sein Werk kommerziell zu nutzen. Ist das Werk allerdings einmal im Wege der Veräußerung übertragen und den wirtschaftlichen Wert seiner Schöpfung erhalten können, so ist es angemessen, das Verbreitungsrecht als erschöpft anzusehen. Der Urheber soll auf der einen Seite darüber frei entscheiden können, ob er das Werk behält oder verkauft und zu welchen Bedingungen er dies tun möchte. Auf der anderen Seite soll der Urheber dieses Recht aber nicht dazu nutzen können, darauf folgende Weiterveräußerungen von bestimmten Konditionen abhängig zu machen und hierdurch eine Preisbindung einführen zu können, welche den kartellrechtlichen Bestimmungen in den §§ 14 ff. GWB zuwiderliefe.

Eine Erschöpfung soll aber immer nur dann in Betracht kommen, wenn es für den Urheber zu einer wirtschaftlichen Entlohnung kommt. Erfolgt eine solche nicht, darf von einer Erschöpfung des Verbreitungsrechts nur unter sehr engen Voraussetzungen ausgegangen werden. So käme eine Erschöpfung beispielsweise dann in Betracht, wenn der Urheber das Werk durch einen Schenkungsvertrag auf einen anderen übertragen würde. Demgegenüber hat der Eigentumsverlust kraft Gesetzes (§§ 93, 94 BGB) keine derartige Wirkung. Hier schöpft nämlich der Urheber den wirtschaftlichen Wert des Werkes weder in Form einer Gegenleistung aus, noch gibt er die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf das Werk zwingend aus freiwilligen Stücken auf. Genau so wird man aber auch den vorliegenden Fall beurteilen müssen: K hat die Bilder immer wieder ausgebessert und sein Werk damit allenfalls „an die Öffentlichkeit verliehen“, nicht aber „verschenkt“. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass K in jedem Fall auf sein Verbreitungsrecht verzichten wollte. Das würde nämlich voraussetzen, dass sich K überhaupt Gedanken über eine kommerzielle Verwertung des Werkes gemacht hat. Zu dem Zeitpunkt, als er die Bilder malte, konnte er hiermit aber gar nicht rechnen.
In dem öffentlichen Anbringen der Zeichnungen ist folglich nur eine unkörperliche Wiedergabe des Werkes in öffentlicher Form zu sehen (§ 15 Abs. 2 UrhG), die aber nicht zu einer Erschöpfung des Verbreitungsrechts führt, das zu den Rechten auf Verwertung in körperlicher Form (§ 15 Abs. 1 UrhG) zählt.

III. Ferner ist für den Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns erforderlich, dass dem Anspruchsgegner Vorsatz oder Fahrlässigkeit bei seinen Handlungen zur Last fällt (§ 97 Abs. 1 S. 1 UrhG). Denkbar ist hier ein fahrlässiges Verhalten. Allerdings erscheint fraglich, ob dem H tatsächlich überhaupt die Urheberrechtswidrigkeit bewusst sein konnte. Es gilt der Grundsatz, dass der Nutzer das Risiko eines Rechtsirrtums trägt, so dass ihn die bloße Unkenntnis rechtlicher Anforderungen nicht entlastet. Nach Ansicht des BGH gilt jedoch etwas anderes in urheberrechtlichen Fällen, in denen Neuland betreten wird und zu deren Behandlung noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung existiert. Es kann in derartigen Situationen, in denen eine Rechtsfrage noch höchst umstritten ist, sich folglich also kein eindeutiger Standpunkt herausgebildet hat, von dem Verletzter nicht verlangt werden, seinen Standpunkt aufzugeben. Das Problem der Erschöpfung im Zusammenhang mit Mauerbildern ist aber bislang noch nicht wissenschaftlich thematisiert und war zuvor auch nicht Gegenstand von Gerichtsentscheidungen, so dass man ein Verschulden des H verneinen muss.

IV. Mangels Verschuldens scheidet ein Anspruch gem. § 97 Abs. 1 S. 2 UrhG aus.


B. Wegen fehlenden Verschuldens scheiden auch Schadensersatzansprüche gem. § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG und § 823 Abs. 1 BGB aus.


C. Denkbar ist aber ein Anspruch gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt., 818 Abs. 2 BGB. H hat dadurch, dass er die urheberrechtliche Verbreitungsbefugnis des K verletzte, in den ausschließlichen Zuweisungsgehalt eines Rechts des K eingegriffen. Dieser – auch verschuldensunabhängige – Anspruch richtet sich auf Herausgabe des Erlangten. Da dies aber nicht mehr möglich ist, muss H den Wert des Erlangten ersetzen (§ 818 Abs. 2 BGB). Dieser beläuft sich auf das, was üblicherweise für die Erlaubnis, die Zeichnungen verkaufen zu dürfen, zu zahlen gewesen wäre.





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